Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
er einen Hocker aus der Küche und setzte sich vor den schmutzigen Haufen auf dem Boden. Nun lag das Untere oben, auf Lenins gesammelten Werken und dem Kommunistischen Manifest. Er sah Postkarten, Papierschnipsel, einen Roman, den er nicht kannte, und ein in Kunstleder eingeschlagenes Buch. Er nahm den Kunstlederband, schlug ihn auf und wusste, er war am Ziel.
Seite um Seite mit handschriftlichen Einträgen, jeweils datiert. Ein Tagebuch. Er nahm es und legte es auf den Schreibtisch. Anfangs fiel es ihm schwer, die Schrift zu entziffern, aber er gewöhnte sich daran, sodass er fast jedes Wort lesen konnte. Angelika wurde immer wieder erwähnt. Der das geschrieben hatte, war ein Mann. Stachelmann blätterte und las:
Wenn ich mir vorstelle, ich wäre es gewesen, der das Schwein abgeknallt hat, ich müsste dauernd dran denken. Ich war sauer, als es passiert war, stinksauer. Mir hatte niemand was gesagt. Man will es doch vorher wissen, wenn man bei einer Hinrichtung mitmacht. Auch ein Revolutionär muss sich auf so was vorbereiten. Es hätte doch nichts gekostet, mir wenigstens was anzudeuten. Ich hätte trotzdem mitgemacht, oder? Doch, Verräter sind schlimmer als Wanzen.
Nun wusste Stachelmann, der Tagebuchschreiber war nicht der Mörder, aber er wusste, wer es war. Wahrscheinlich Zastrow, der früh gestorben war. Als er weiterblätterte, las Stachelmann von Volterra. Er legte das Tagebuch beiseite und wühlte in der Kiste nach den Postkarten. Aber keine zeigte Volterra, eine aber Siena. Er konnte nicht entziffern, was auf der Rückseite stand. Stachelmann holte seinen Atlas und fand Volterra gleich. Südliche Toskana, keine hundert Kilometer entfernt von Livorno.
Toskana, da war etwas, da hatte er etwas gehört oder gelesen. Ja, ab Lübeck-Blankensee gab es eine Billigflugverbindung nach Pisa. Er empfand es als Wink einer höheren Macht. Gleich schaltete er den PC ein und suchte die Homepage der Fluglinie. Schon für morgen Abend konnte er eine Maschine buchen, zurück am Abend darauf. Oder sollte er zwei Tage einrechnen? Er tat es. Daten eingeben für Flug und Bezahlung, ausdrucken, fertig. Schon war er Besitzer zweier Flugscheine, die ihn weniger kosteten als zweihundert Euro. Dazu kamen noch der Mietwagen und die Unterkunft für zwei Nächte. Er freute sich über seinen Fund und die Entschlossenheit, die er so oft vermisste an sich. Dann las er weiter im Tagebuch.
In der Nacht ließ ihn die Erschöpfung einschlafen, doch wachte er immer wieder auf. Das Tagebuch ging ihm nicht aus dem Kopf. Er konnte den Thingstättenmord aufklären. Zastrow dürfte es gewesen sein, seine Helfer waren der Tagebuchschreiber und Kipper oder Detmold. Wahrscheinlich Kipper, sagte ihm sein Gefühl. Er überlegte, ob er Angelika anrufen sollte, sie kannte den Namen des Tagebuchschreibers bestimmt, auch wenn sie so getan hatte, als hätte sie den Kerl kaum gekannt. Detlef war kein Spitzname, da hatte sie sich verplappert, immerhin ein kleiner Anhaltspunkt. Detlef Köhler in Volterra. Dann regte sich die Angst. Ob die Polizei herausfinden würde, dass der Gast in der »Rose« der Einbrecher bei Angelika Stolpe war? Er versuchte sich zu beruhigen. Das war unwahrscheinlich, bei einem Einbruch in einem Keller, bei dem nichts Wertvolles gestohlen worden war, würde die Polizei nicht viel unternehmen, die hatten andere Sorgen. Und Angelika, hatte die nicht allen Grund, niemandem etwas zu erzählen von dieser Kiste? Nachher kriegte sie noch Ärger, weil sie Beweismittel in einem Mordfall unterschlagen hatte.
Am Morgen fühlte er sich trotz der nächtlichen Unruhe ausgeschlafen. Nach dem Frühstück wählte er Carmens Nummer im Präsidium. Sie war unterwegs zu einem Einsatz. Dann nahm er sich wieder das Tagebuch vor. Nun begriff Stachelmann ganz, was auf der Thingstätte geschehen war. Sie hatten Lehmann nicht ermorden wollen, jedenfalls zwei von den dreien nicht. Der Dritte aber hatte abgedrückt. Und dieser Dritte hieß Zastrow und war tot. Warum hatte er geschossen? Hatte der Schuss sich versehentlich gelöst? Warum flog er jetzt noch nach Italien? Um diesen Detlef zu suchen, wenn er denn so hieß und ihm Angelika keinen Bären aufgebunden hatte? Denn die war zwar eine Säuferin, aber nicht dumm. Und wenn er Detlef gefunden hatte, worin lag der Nutzen? Dieser Detlef musste wissen, wer Ossi auf dem Gewissen hatte, wenn er nicht selbst der Mörder war. Vielleicht hatte er noch eine Verbindung nach Heidelberg und hatte gehört, dass Ossi
Weitere Kostenlose Bücher