Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
nicht so?
Und bevor Köhler etwas sagen konnte, gleich hinterherschießen: Und vor kurzem bist du nach Hamburg gefahren und hast Ossi umgebracht. Das ist der Genosse von früher, der dir auf die Spur gekommen ist.
Aber nun konnte er sich nicht mehr vorstellen, was Köhler antworten würde.
Bis zum Abend las er weiter im Tagebuch. Er überlegte, wie Angelika früher gewesen sein mochte. Dann fiel ihm Regine ein, die nicht so tief gefallen war, aber auch mehr trank, als ihr gut tat.
Er packte das Tagebuch und die Fotos in seine Reisetasche.
Das Flugzeug sollte um zwanzig Uhr fünf starten, Stachelmann quälte sich schon um fünf Uhr durch den Berufsverkehr in Richtung Groß Grönau. Dann kurvte er eine Weile über den Parkplatz, bis er eine Lücke fand. Im Flughafengebäude schlug er die Zeit mithilfe der Süddeutschen Zeitung und einiger Tassen Tee tot. Als der Abflug nahte, reihte er sich in die Schlange vor dem Schalter des Billigfliegers ein, den Ausdruck der Internetbuchung und seinen Personalausweis in der Hand. Er war ein Gedränge, als brächte es einen Vorteil, früher im Flugzeug zu sitzen. Als die Maschine endlich abhob und Lübeck immer kleiner wurde, bis es im Dunst verschwand, lehnte Stachelmann sich zurück. Neben ihm saß ein junges Paar, das sich an den Händen hielt und sich immer wieder etwas ins Ohr flüsterte. Das erinnerte ihn an sein Beziehungschaos. Aber er spürte keinen Drang, sich zu entscheiden. Er wusste nicht, was er tun sollte. Vielleicht fiel es ihm ein, wenn er den Fall gelöst hatte. Er schloss die Augen, versuchte das Getuschel neben ihm zu überhören, aber er konnte nicht schlafen. Je näher er Italien kam, desto größer die Aufregung. Dann setzten die Zweifel wieder ein. Es ist ein Irrsinnstrip. Denk daran, wie sicher du dir gewesen bist in Heidelberg. So überzeugt, dass du sogar eine falsche Anschuldigung lanciert hast. Dann döste er doch eine Zeit lang, bis eine Stewardess ihn weckte, weil sie ihm etwas verkaufen wollte. Aber er hörte nicht zu, sondern winkte nur ab und wandte sein Gesicht zum Fenster. Draußen weiße Wolken, majestätisch und scheinbar unbewegt. Die Sonne ging unter.
Als das Flugzeug die Wolkenschicht durchstoßen hatte und landete, war es dunkel. Die Hitze des Tages dampfte aus Beton und Asphalt. Die Fluggäste drängten sich in einen Bus, dessen Klimaanlage offensichtlich ausgefallen war, sofern es überhaupt eine gab. Im Flughafengebäude fand er gleich den Schalter einer Mietwagenfirma, entschied sich für einen Fiat Seicento, hinterlegte die Daten seiner Kreditkarte und folgte der Wegerklärung zum Parkplatz. Er setzte sich ins Auto, drinnen war mehr Platz, als man dem Winzling von außen ansah. Im Handschuhfach fand er eine Straßenkarte der Toskana. Er entschied sich, die Küste entlangzufahren bis nach Cecina, um dann ins Landesinnere abzubiegen. So musste er nur wenige Kilometer durch die Berge fahren, schon auf der Karte sah die Strecke kurvig und steil aus. Stachelmann gewöhnte sich schnell an das Auto und fand gleich den richtigen Weg zur Küste. Immer Richtung Livorno. Dort steuerte er den Wagen auf die kurvige Küstenstraße in Richtung Süden. Es war wenig los trotz Hochsaison, vernünftige Menschen verdauten jetzt bei einem Glas Wein das Abendessen.
Er überlegte, wo er schlafen sollte, er hatte sich nicht um eine Unterkunft bemüht. Aber das war in dieser Zeit ohnehin aussichtslos, die Hotels und Pensionen waren bestimmt ausgebucht. Er fuhr vorsichtig, hin und wieder erfassten die Scheinwerfer Katzen oder Hunde. Vor Cecina endlich die Ausschilderung in Richtung Gello und Volterra. Bald ging es hinauf ins Gebirge, die Straße wurde kurviger. Ein Motorrad überholte ihn in aberwitzigem Tempo, der Fahrer berührte in der Kurve fast den Asphalt mit dem Knie. Dann war er verschwunden, so schnell, wie er herangerast war. Stachelmann durchfuhr Ortschaften, draußen Stühle und Tische, spärlich besetzt. Er hielt Ausschau, ob er vielleicht doch eine Unterkunft fand. Aber er sah kein Schild mit einem Hinweis. Jetzt spürte er die Erschöpfung, schalt sich einen Idioten. Aber nun wäre es das Dümmste gewesen, die Sache nicht zu Ende zu bringen. Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn. Der Vergleich gefiel ihm. Wie ein blindes Huhn stocherte er herum. Nur dass dem armen Tier nichts übrig blieb, wenn es überleben wollte, und er sich seine Verrücktheit selbst eingebrockt hatte. Jeder ist so dumm, wie er kann. Seine Laune fiel auf den
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