Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
Mutter Dankbarkeit. Und doch kam er sich überflüssig vor. Die Mutter reichte Stachelmann die Hand, der verstand »Grazie! Grazie!«, und zog ihn aus dem Wohnzimmer in die Küche. Sie stellte eine Flasche Wein und drei Gläser auf den Tisch, dazu Teller mit Gebäck, Wurst, Schinken, Käse, ganz wahllos. Dann fragte sie, ob er einen Kaffee möchte, und goss gleichzeitig Wein ein. Tonio setzte sich an Tisch. »Salute!«
Sie hoben die Gläser und tranken.
Die Haustür öffnete sich, ein Mann betrat die Küche, und das Palaver begann von neuem. Stachelmann begriff bald, es war der Vater, der von irgendwoher nach Hause zurückkehrte. Auch der reichte Stachelmann die Hand, bedankte sich, schimpfte mit seinem Sohn, winkte verächtlich in dessen Richtung und nahm ihn dann in den Arm, bis der jaulte vor Schmerz, die ihm Prellungen an der Brust bereiteten. Stachelmann überlegte, ob er vorschlagen solle, einen Arzt zu holen, aber dann ließ er es, das war nicht seine Sache.
Die Mutter schenkte ihm nach. Dann öffnete sich erneut die Küchentür, und in der Tür stand Liz Taylor in ihren jungen Jahren, als sie die Jüdin Rebecca in »Ivanhoe« spielte. Sie ließ ihren Blick wandern, bis der an Stachelmann hängen blieb. Er war der Einzige, den sie nicht kannte. Wieder wurde viel und durcheinander geredet. Stachelmann verstand nur, sie hieß Eleonora und war die Tochter, also die Schwester von Tonio. Als Eleonora verstanden hatte, was geschehen war, ging sie auf Stachelmann zu und reichte ihm die Hand. Die war kräftiger, als sie aussah. »Danke«, sagte sie leise und lächelte ihn an. Sie sagte es ohne Akzent. In seinem Magen lag ein Stein.
Eleonora setzte sich mit an den Tisch, lächelte ihn hin und wieder an, als wollte sie zeigen, er sei willkommen und sie sei ihm dankbar.
»Wo kommen Sie her?«, fragte sie ihn in perfektem Deutsch.
»Aus Lübeck, das liegt bei Hamburg«, sagte er.
»Ich weiß«, sagte sie und lächelte.
»Woher sprechen Sie so gut Deutsch?«
Die anderen am Tisch hörten zu, obwohl sie nichts verstanden.
»Ich habe es studiert, in München, und ich arbeite in einer Agentur in Cecina. Ferienhausvermittlung.«
»Ach ja.« Stachelmann nickte.
»Und Sie machen Urlaub?«
»Nein«, sagte Stachelmann. »Ich suche jemanden. Ich bin gerade hierher geflogen, nach Pisa, und ich suche einen Deutschen, der vor fast dreißig Jahren aus Heidelberg nach Volterra gezogen sein soll.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Und dafür kommen Sie extra hierher? Wo wohnt dieser Deutsche?«
Stachelmann zeigte die Handflächen.
Sie lachte. »Hier wohnen viele Deutsche. Die halten die Toskana für einen, wie sagt man, Paradiesersatz. Für Leute, die nicht arbeiten müssen, ist sie das auch.«
Die Mutter mischte sich ein. In atemberaubend schnellem Italienisch sprach sie mit der Tochter. Die blickte mal die Mutter an, mal Stachelmann.
»Meine Mutter möchte gerne wissen, wo Sie übernachten.«
Stachelmann zuckte die Achseln. »Weiß ich noch nicht.«
Nun redete Eleonora Italienisch mit der Mutter. Die Mutter antwortete etwas, dann sagte Eleonora: »Wenn es Ihnen nicht zu« – sie zögerte – »einfach ist, können Sie hier übernachten. Wir haben eine Kammer, klein, aber ein Bett steht darin. Es ist schwer, ein Hotelzimmer zu bekommen. Aber wenn Sie wollen, telefoniere ich herum und versuche ein Zimmer für Sie zu bekommen.«
»Wenn es Ihnen nicht zu viel ausmacht, die Kammer würde mir reichen.« Er dachte an die Schmerzen, die ihm diese Nacht in einem Gästebett bereiten würde. Die Mutter stand auf und verschwand aus der Küche.
»Diesen Deutschen, den Sie suchen, wie heißt er?«
»Detlef Köhler.«
»Mehr wissen Sie nicht?«
»Vielleicht doch, er war ein Politaktivist, wollte vielleicht zu Lotta Continua, untertauchen.«
Als der Vater »Lotta Continua« hörte, streckte er den Rücken. Dann begann er mit Eleonora zu reden, er zeigte immer mehr Erregung. Stachelmann verstand nur »Partito Comunista«. Als der Vater fertig war, er unterstrich es mit einem angedeuteten Faustschlag auf den Tisch, fragte Eleonora: »Aber Sie gehören doch nicht dazu?«
»Nein«, wehrte Stachelmann ab. »Ich erzähle Ihnen die ganze Geschichte.« Es war dann doch nicht die ganze Geschichte, sondern eine Zusammenfassung, bei der sich Stachelmann auf den Thingstättenmord beschränkte. Er erzählte ein, zwei Sätze, dann übersetzte Eleonora es für die anderen. Der Vater und Tonio hörten schweigend zu, der Vater nickte hin und
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