Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
Klospülung im Badezimmer weckte ihn. Er bewegte seine Wirbelsäule und die Beine, um die Steifheit loszuwerden. Dann schaute er auf die Uhr, es war acht. Eine gekippte Milchglasscheibe ließ weißes Licht in die Kammer. Die Luft war mild und kündigte einen heißen Tag an. Er stand auf und linste aus der Tür, ob das Bad frei war. Die Tür war geschlossen, die Geräusche verrieten, es war besetzt. Stachelmann ging in der Kammer im Kreis wie in einer Zelle, hin und wieder drehte, beugte und streckte er den Rücken, um beweglicher zu werden. Endlich war das Bad frei. Als er fertig war, ging er zur Küche, wo die Mutter am Herd hantierte. Sie begrüßte ihn mit einem Lächeln, zeigte auf den Tisch, wo Brot, Butter und Zucker standen und Mokka in einem Gerät mit Druckkessel, der auf dem Herd erhitzt wurde. Sie goss ihm Kaffee ein, er nahm ein Brot und bestrich es mit Butter. Sie zeigte zum Fenster und wollte ihm offenbar sagen, es werde schönes Wetter geben. Eleonora und Tonio, sie winkte zur Haustür, waren offensichtlich schon zur Arbeit gegangen. Papa, sie winkte wieder. Dann sagte sie: »Lotta Continua« und noch etwas, das Stachelmann nicht verstand. Aber er begriff, der Vater war schon unterwegs, um ihm zu helfen. Die Aufregung zwickte im Magen.
Nach dem Frühstück bedeutete er der Mutter, er werde einen Spaziergang machen, indem er zuerst nach draußen wies und dann den Finger kreisen ließ. Die Mutter lächelte ihn freundlich an und nickte. Er ging durch schmale Häuserschluchten mit mittelalterlichen Fassaden, vorbei an Kapellen, Stadtvillen, Türmen, die vom früheren Reichtum der Stadt zeugten. Vor der Stadtmauer, zur Überlandstraße hin, ein Gefängnis, in dessen dickem Gemäuer die Insassen im Sommer schwitzten und im Winter froren. So sah es jedenfalls aus. Er blickte hinab ins Tal, über dem der Dunst lag wie eine Wolkenschicht, bis die Sonne ihn auffraß. Er ging zurück ins Innere der Stadt, setzte sich vor eines der vielen Straßencafés und bestellte einen Espresso, noch walzte der Touristenstrom nicht durch die Gassen. Gegenüber ein Plakat, das eine mittelalterliche Handwerksmesse ankündigte. Auch ein Theaterstück würde demnächst unter freiem Himmel aufgeführt werden, und das Stadtfest stand ebenfalls noch aus. Er war jetzt ruhig, bedachte sein Glück, dass er Tonio getroffen hatte, ließ seine Gedanken bei Eleonora verweilen, was ihm aber gleich die Trostlosigkeit seiner Frauenbeziehungen in Erinnerung rief. Er wischte den Anflug von Trübnis weg, unterstrich es durch eine Handbewegung und bestellte noch einen Espresso, mehr um auf andere Gedanken zu kommen. Wenn er Köhler fand, dann sollte er ihm das Tagebuch vorhalten. Oder vorher eine Schriftprobe besorgen? Aber er war ja kein Schriftsachverständiger, nein, er würde mit der Tür ins Haus fallen, Klartext, überfallartig. Stachelmann war sicher, so würde es gehen. Und wenn nicht? Dann eben nicht, dann hatte er eine schöne Zeit in Volterra verbracht. Morgen Abend, Viertel vor sechs Uhr, würde er wieder nach Hause fliegen. Er wünschte sich, er säße schon im Flugzeug, die Gewissheit im Gepäck und damit die Chance, den Wahnsinnstrip zu beenden. Es war nicht so schlimm, dass andere an seinem Verstand zweifelten, bedenklich war, dass er selbst damit anfing. Stachelmann schaute auf die Uhr, es war zu früh, wie sollte der Vater so schnell etwas herausbekommen?
Die Sonne stieg, es wurde wärmer. Stachelmann beschloss, sich ein Zimmer zu suchen für die kommende Nacht. Aber es schien keine freien Zimmer zu geben, Hochsaison in der Toskana. Er würde Eleonora bitten müssen zu telefonieren. Dann wurde die Ungeduld stärker, und er ging zurück zum Haus. Obwohl er sich zwang, langsam zu laufen, schwitzte er, als er vor der Haustür stand. Er klopfte und trat ein. Tatsächlich saß der Vater in der Küche und begrüßte ihn, nachdem er seine Tasse abgesetzt hatte. Der Vater sah zufrieden aus. Er bedeutete Stachelmann, bis zum Mittag zu warten. Eleonora sei dann hier und könne übersetzen. Um nicht weiter der Sprachlosigkeit ausgesetzt zu sein, ging Stachelmann in die Kammer und legte sich aufs Bett. Er konnte natürlich nicht schlafen, und die Zeit wollte nicht vergehen. Endlich klopfte es an der Tür. Stachelmann stand auf und öffnete. Eleonora lachte ihn an. »Ich glaube, er hat gefunden, was Sie suchen«, sagte sie.
Als Stachelmann in die Küche kam, unterhielt sich der Vater angeregt mit der Mutter, offenbar über das, was er
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