Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
dass sie Deutsch verstand. Köhler sprang auf, aber da war Stachelmann schon im Flur und rannte zu der Tür am Ende. Er riss sie auf und prallte zurück. Vor dem Anblick und dem Gestank. Da lag ein Mann auf einer Matratze auf dem Boden. Obwohl es heiß und stickig war, hatte er sich zugedeckt. Aus einem Totenkopf, übersät von schwarzen Flecken, quollen zwei blutunterlaufene Augen hervor. Der Mann hatte schüttere lange Haare, die wirr auf dem Kopf standen. Am Kinn trug er eine Art Ziegenbart. Eine Hand lag auf der Decke, wie um zu verhindern, dass sie weggezogen wurde. Stachelmann merkte, ohne sich umdrehen zu müssen, Köhler stand hinter ihm, auch Suzanna und Eleonora.
»Das ist Reimund Zastrow«, sagte Stachelmann, als er die Sprache wiederfand. »Er hat Lehmann erschossen und sich dann einen Totenschein besorgt, bei wem auch immer. Und als er tot war, hat er sich abgesetzt nach Italien und dann seinen Freund Köhler nachgeholt. Die beiden Herren haben sich zunächst bei Lotta Continua amüsiert und ein bisschen Helden des Untergrunds gespielt. Aber Lotta Continua gibt es nicht mehr, auch nicht den Untergrund, und die Helden unserer Tage treten im Fernsehen auf.«
Er drehte sich abrupt um, die Wut machte ihn aggressiv. »Gib's zu!«, schnauzte er Köhler an.
Der schrak zurück und antwortete nicht. Für Stachelmann war es so gut wie ein Geständnis. Eleonora starrte sie an und hielt sich die Nase zu.
Der Mann im Bett hob langsam die Hand, streckte den Zeigefinger und winkte Stachelmann heran. Der näherte sich dem Bett und unterdrückte den Brechreiz. Der Finger winkte ihn hinunter. Stachelmann sah die gelben Zähne mit weißen Flocken darauf, wie Schimmel. Er kniete und schob sein Ohr an das Gesicht des Mannes. »Ich wollte nicht schießen«, flüsterte der. »Wirklich nicht. Der hat plötzlich den Kopf nach hinten geworfen, und da hat sich der Schuss gelöst. Ich schwöre es.« Tränen flossen in die Hauttäler, die früher seine Wangen gewesen waren. »Es ist gut, dass du mich gefunden hast. Bist du von der Polizei?«
»Nein«, sagte Stachelmann. Plötzlich überkam ihn Mitleid, es gelang ihm nicht, es wegzudrängen.
»Ich habe AIDS«, flüsterte der Mann mit fast tonloser Stimme. »Endstadium. Du kommst gerade noch rechtzeitig.« Die Hand bewegte sich langsam und zitternd auf Stachelmann zu. Sie klammerte sich kraftlos an seinen Unterarm. »Du musst mir glauben. Bitte.«
»Du hast dir einen Totenschein besorgt in Heidelberg.«
»Von Detmolds Vater, der war auch Arzt.«
»Und die Leiche, die an deiner Stelle beerdigt wurde?«
»Wir haben gewartet, bis wir einen einsamen Penner fanden, der nicht mehr lang zu leben hatte. Ich habe ihn beobachtet, bis er auf einer Parkbank starb. Der liegt im Grab.«
»Und ihr habt nicht nachgeholfen beim Tod des Penners?«
»Nein. Nur beobachtet.«
Stachelmann mochte an einen solchen Zufall nicht glauben. Ein Penner, der zur rechten Zeit starb und den niemand vermisste. Aber das Gegenteil konnte er nicht beweisen.
»Und der Mord in der Thingstätte?«
»Das war kein Mord«, keuchte Zastrow. »Das war ein Versehen. Ein Unfall. Ich habe es nicht gewollt. Glaub mir. Aber danach war auch mein Leben zu Ende.« Er hustete.
»Ein Versehen? Du hast Lehmann die Pistole an den Kopf gehalten.«
»Aber nur, damit er gesteht.«
»Es gab aber nichts zu gestehen.«
»Das stimmt nicht.« Zastrow flüsterte nur noch.
»Das stimmt doch«, sagte Stachelmann. »Wenn man jemandem eine Pistole an den Kopf hält, ist das doch keine Spielerei. Warum war sie geladen?«
Zastrow winkte schwach. Er verzerrte sein Gesicht, schien unter Schmerzen zu leiden. »Du sagst, es habe nichts zu gestehen gegeben?«
Stachelmann nickte. »Gar nichts. Wie willst du das von einem erfahren, dem du die Pistole ans Genick hältst. Der hatte doch gar keine Chance. Entweder er log und wurde erschossen, oder er log nicht und wurde erschossen. Das hat er wahrscheinlich geglaubt. Das ist wie mit der Folter.«
»Nein, nein. Ich wollte gar nicht schießen. Nur Angst wollte ich ihm machen.«
»Aber die Waffe war geladen«, wiederholte Stachelmann. »Warum?«
Zastrow starrte ihn an, dann schloss er die Augen. Er nahm die Hand von Stachelmanns Unterarm. Jetzt lag er nur, er atmete flach und schnell.
»Dein Leben war nicht zu Ende«, sagte Stachelmann. »Für ein paar Revolutionsspielchen hat es noch gereicht. Nur Lehmann, der ist wirklich tot. Du hast vielleicht mal schlecht geschlafen, aber das tun andere
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