Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
Wasserspülung. Niemand sagte etwas, und wie angewurzelt standen sie, ohne sich anzuschauen. Endlich legte Eleonora ihre Hand auf seine Schulter. »Komm, wir gehen.« Er merkte, dass sie ihn duzte. Als er sich nicht bewegte, nahm sie seine Hand und zog ihn sanft zur Tür. Köhler schaute ihnen nach, aber seine Augen schienen Schleier zu tragen.
Sie saßen lange im Auto, ohne ein Wort zu sagen. Ihr Atem ließ die Scheiben beschlagen, bis Eleonora ihr Fenster hinunterkurbelte.
»Alles umsonst«, sagte Stachelmann. Er schlug mit der Hand aufs Lenkrad.
»Es ist doch auch ein Ergebnis, wenn man ausschließen kann, dass es ein Mord war. Dann hat die Polizei Recht. Ist das wirklich schlimm?«
War es schlimm? »Sie haben Recht. Mich ärgert wohl am meisten, dass ich mich zum Narren gemacht habe.«
»Das finde ich nicht. Sie haben etwas Entscheidendes herausgefunden. Es entspricht nicht Ihrer Erwartung, aber Sie sollten es annehmen, wenn ich das vorschlagen darf. Ihr Freund wurde nicht ermordet ...«
»Nicht von denen.«
»Von niemandem«, sagte Eleonora. »Wenn es keinen Mörder gibt, gibt es keinen Mord.«
Er hatte kaum geschlafen in den letzten beiden Nächten. Der Heimflug war nervig gewesen, das Flugzeug voll und laut. Aber auch im eigenen Bett fand er keine Ruhe. Am Sonntagnachmittag rief er endlich Carmen an. Er schilderte kurz, was er erfahren hatte.
»Also doch«, sagte sie. »Dann haben wir wenigstens die Gewissheit, dass die Kollegen sich nicht verhauen haben. Das ist auch etwas. Wann kommst du?«
Er sagte: »Wir müssen miteinander reden.« Es rutschte ihm heraus, als hätte ihm eine innere Stimme befohlen, das zu sagen. Er dachte an Anne und daran, was er ihr angetan hatte. Ohne Grund, wie sich nun gezeigt hatte. Weil er Gespenster gejagt hatte.
Carmen hörte heraus, was er meinte. »Du kannst jederzeit vorbeikommen. Ich habe in der kommenden Woche abends frei, es sei denn, es passiert was. Ruf vorher an.« Sie klang traurig und erschöpft.
Dann sprach er mit seiner Mutter. Danach glaubte er wieder, sie sage ihm weniger, als sie wusste. Er nahm den Hörer wieder in die Hand und blieb lange so sitzen. Dann drückte er auf die Taste mit Annes gespeicherter Nummer.
»Ach, dich gibt's auch noch?«, sagte sie.
Er erzählte, was er herausbekommen hatte.
»Dann war also der ganze Aufstand für den Mülleimer«, sagte sie.
»Ossi wurde nicht ermordet. Ich bin mir jetzt immerhin sicher.«
»Das erfreut uns alle.« Sie klang gleichgültig, aber Stachelmann wusste, dass sie anders empfand.
»Kann ich vorbeikommen?« Er glaubte, seine Stimme zitterte hörbar.
Ein Schweigen, das seine Anspannung nur steigerte. »So gegen acht Uhr, vorher geht es nicht. Tschüs.« Sie legte auf, ohne auf die Antwort zu warten.
Stachelmann setzte sich an den Computer, löschte die Spammails, las die paar Mitteilungen, die übrig blieben, und löschte auch die, weil sie unwichtig waren. In den Semesterferien konnte er anderes als Mist in seinem Postfach nicht erwarten. Dann öffnete er die Datei mit seiner Habilitationsschrift. Er ging zur Textmarke, die zeigte, wo er die Korrektur unterbrochen hatte, und versuchte sich wieder einzulesen. Doch seine Gedanken schweiften erst nach Italien zu der stinkenden Wohnung, in der Köhler, Zastrow und Suzanna hausten. Dann hatte er Eleonora vor Augen, die ihn zum Seicento begleitet und ihn zum Abschied umarmt hatte. Ihren Geruch hatte er noch in der Nase. Sie winkte ihm nach, er sah sie im Rückspiegel und winkte ihr aus dem Fenster, bis er abbiegen musste. Eine schlanke Gestalt im weißen Kleid, das der Wind an ihren Körper schmiegte.
»Du bist nun zu Hause«, flüsterte er. Tatsächlich gelang es ihm, ein paar Seiten durchzusehen, aber dann ergriff ihn die Unruhe. Wie sollte er anfangen bei Anne? Und wie sollte er es tun bei Carmen, damit es nicht unnötig schmerzte? Er stand auf und ging in der Wohnung umher. Auf dem Beistelltisch sah er den Poststapel, den er aus dem Briefkasten geholt hatte. Er blätterte ihn durch, bis er auf ein Schreiben aus der Justizvollzugsanstalt Lauerhof stieß. Er öffnete es und las. Dann lachte er. Olaf saß schon wieder. Er hatte seinen Bruch nicht hingekriegt, sondern war schon vorher von einem Kumpel verpfiffen worden. Trotzdem klang der Brief fröhlich. Er kündigte seinen Besuch an. Bestimmt würden sie ihn bald entlassen aus der U-Haft. »Man wird sich doch noch über einen Bruch unterhalten dürfen. Gemacht hab ich nichts.« Olaf würde in die
Weitere Kostenlose Bücher