Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
irgendwie haben wir angefangen, über den Mord zu reden. Wir haben natürlich nur wiederholt, was wir damals spekuliert haben. Also, ich bin nach wie vor überzeugt, die Bullen waren es. Oder der Verfassungsschutz, aber das läuft ja aufs Gleiche hinaus. Die anderen glauben da eher an Nazis, das Opfer war ja ein Linker. Aber was interessiert dich das? Was hat es mit Ossis Tod zu tun?«
Stachelmann berichtete knapp von der Akte und dem unterstrichenen Wörtchen »nie«.
»Das sagt doch nichts. Wenn Ossi was Neues gewusst hätte, das hätte er uns doch erzählt.«
»Was hat er denn erzählt?«
»Ein bisschen was von deinen Abenteuern. Wann kommst du?«
»Bald, ich melde mich. Du bist ja da, oder fährst du in Urlaub?«
»Nein, Urlaub kann ich mir nicht leisten.«
Nach dem Telefonat schrieb er »Regine Ginelli« auf einen Zettel und suchte ihre Telefonnummer. Er fand sie gleich und schrieb sie zum Namen auf den Zettel. Er griff zum Hörer, aber dann schaute er auf die Uhr. Es war Mitternacht, zu spät. Vielleicht war es gut so.
Er legte sich hin. In Gedanken war er in Heidelberg, saß in Seminaren, Gruppentreffen, demonstrierte und erinnerte sich auch seiner Zweifel. Aber am Morgen erwachte Stachelmann mit einem Traumsplitter von Horatio Hornblower, dem britischen Seehelden zu Napoleons Zeit, der seinen Körper hasste und sich gerade deshalb zwang, mit den Stärksten mitzuhalten.
* * *
16. Mai 1978
Angelika hat sich in der Marstallmensa neben mich gesetzt. Sie hätte sich auch neben R. oder K. setzen können. Es war also nicht so, dass ich der Einzige gewesen wäre, den sie kannte und neben dem Platz war. Den R. kennt sie sogar länger und besser als mich. Ich habe die beiden schon ein paar Mal schwätzen gesehen. Manchmal denke ich, ich sollte was andeuten von der Thingstättensache. Angelika sagte, dass sie glaube, der L. sei ein Verräter gewesen, und deshalb solle sich keiner beschweren. Man werde nicht gezwungen, Verräter zu werden.
Ein Gutes hat es, dass wir uns so spät bekannt haben. Die Polizei lässt uns in Ruhe. Wir sind wohl nur Spur Nummer 261 oder so. Manchmal träume ich vom Gefängnis. Wie sie mich einliefern im Faulen Pelz. Revolutionäre dürfen Angst haben, aber sie müssen sie überwinden.
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6
»Nein, das habe ich doch schon der Polizei gesagt.« Die Frau ärgerte sich, und sie zeigte es.
Stachelmann überlegte, wie er sie besänftigen könnte. »Ich war ein Freund von Ossi ...«
»Ich weiß«, sagte sie. Ihre Laune verbesserte sich nicht. Sie hatte ein hartes Gesicht, am Hals traten Adern hervor. Der Ärger packte sie nicht nur heute, sondern oft. Er hatte ihr Falten ins Gesicht geschnitten, dessen Haut sie offenbar regelmäßig im Sonnenstudio austrocknete. Sie bat Stachelmann nicht hinein.
»Wenn Sie mir etwas über diese Raten nur andeuten könnten. Ich werde der Polizei nichts sagen. Ich verspreche es.«
Sie schaute ihn mit schiefem Kopf an und lachte bitter. »Versprechen, wenn Kerle was versprechen ...«
Stachelmann schaute in den Flur, hinten öffnete sich eine Tür, ein Mädchen starrte ihn neugierig an. Sie war vielleicht dreizehn oder vierzehn. Sie sah Ossi ähnlich, hatte rote Haare, die ihr in vielen dünnen Zöpfen vom Kopf hingen.
Die Frau folgte Stachelmanns Blick und zischte: »Mach die Tür zu!«
Das Mädchen verzog das Gesicht und gehorchte.
»Ich hätte mehr als dieses Geld verdient«, keifte die Frau. »Ich ziehe seine Blagen hoch, und die paar Kröten, die er dafür rausrückte, haben nicht gereicht. Und jetzt kriege ich gar nichts mehr.«
»Da ist schon Geld auf dem Konto«, sagte Stachelmann. »Aber ich kenne Ossis Testament nicht.«
»Der hat mir nichts vererbt, der nicht.«
»Aber vielleicht den Kindern?«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Wenn ich wüsste, dass er Ihnen diese drei Raten über jeweils zehntausend Euro gegeben hat, dann würde ich möglicherweise an einen Freitod glauben.«
»Es ist mir egal, ob Sie's glauben oder nicht. Ob da einer nachgeholfen hat oder nicht, ich weine dem Scheißkerl keine Träne nach. Keine einzige.« Sie war laut geworden. »Und jetzt muss ich weiterarbeiten, ich kann es mir nicht leisten, meine Zeit mit Gequatsche zu verschwenden, schon gar nicht über einen Haufen Geld, den ich nicht bekommen habe. Einen schönen Tag noch«, zischte sie und knallte die Tür zu.
Stachelmann erschrak und verharrte noch einige Sekunden vor der Tür der Doppelhaushälfte in Bergstedt. Im Carport stand der
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