Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
Mann zu erkundigen. Aber dann käme er gar nicht mehr dazu, seine Habilschrift zu überarbeiten. Es wäre die Steigerung von Verranntheit. Vernünftig wäre allein, den Fall sausen zu lassen, du wirst keinen Toten zurückholen ins Leben. Und womöglich sind schon Leute umgekommen wegen deiner Recherche. Unterm Strich lohnt es sich nicht, den Thingstättenmord aufzuklären. Aber ich bin so dicht dran, der Fall ist praktisch gelöst. Der Wolf muss nur noch die Beziehungen zwischen Kipper und Detmold ausloten. Er wird einen Weg finden, sie abzuhören. Natürlich, das kann er nicht zugeben. Aber so wild wie der darauf war, den Privatdetektiv zu markieren, wird er alles tun, um Licht in die Sache zu bringen. Der ist damals aus dem Dienst ausgeschieden mit der Häme der Kollegen, die ihn sowieso nicht mochten. War ein Besserwisser mit brauner Vergangenheit. Und hat seinen größten Fall nicht gelöst. Dass seine Nachfolger auch nichts zustande gebracht haben, das interessierte gewiss bald keinen mehr. Nein, der Wolf hat es vermasselt. Und nun, dank meiner Vorarbeit, wird er es allen zeigen, den Jungspunden und Angebern, die an ihren tollen Computern sitzen, sich die Befunde der Rechtsmedizin und der Kriminaltechnik servieren lassen, ohne den Arsch hochzukriegen.
Er konnte sich in Wolf hineinversetzen. Wenn da nur nicht diese Gestaposache wäre. Nun gut, kein Gericht hat ihn verurteilt, er durfte sogar seine Laufbahn fortsetzen und lebt von seiner Beamtenpension. Wahr ist aber auch, dass die wenigsten Naziverbrecher vor Gericht gestellt wurden. Er wischte die Last im Geist weg. Jetzt geht es um Ossi, alles andere ist zweitrangig.
Seine Füße hatten ihn zu einem Taxistand geführt. Er ließ sich von einem pausenlos unverständliches
Kurpfälzisch redenden Taxifahrer mittleren Alters mit einer speckigen Lederkappe ins Neuenheimer Feld zur Notfallmedizin fahren. Am Empfang der Klinik für Anästhesiologie, in deren Räumen die Notfallmedizin untergebracht war, fragte Stachelmann, wer ihm Auskunft geben könne über einen Patienten, der vor zwei Tagen mit einer Alkoholvergiftung eingeliefert worden sei. Die Frau im weißen Kittel schaute ihn misstrauisch an. Sie schnuppert im Geist nach meiner Fahne, dachte Stachelmann.
»Jemand, den man als Penner bezeichnen würde.«
Die Frau schaute immer noch, dann kniff sie die Augen zusammen und griff zum Telefonhörer. Sie drehte sich von Stachelmann weg, während sie sprach. Als sie aufgelegt hatte, wandte sie sich ihm wieder zu. »Sind Sie ein Verwandter?«
»Ja, ja«, stotterte Stachelmann.
»Der Doktor kommt gleich.«
Stachelmann wunderte sich über den Umstand. »Können Sie mir nicht einfach die Zimmernummer geben. Ich finde das schon.«
»Der Doktor kommt gleich«, erwiderte sie streng.
Stachelmann wartete mehr als eine Viertelstunde. Er lehnte am Tresen, die Frau dahinter warf ihm ab und zu einen mürrischen Blick zu. Dann kam mit schnellen, weit ausholenden Schritten ein Mann in Weiß. Er schaute sich um, sah nur Stachelmann, ging auf ihn zu und fragte: »Sie sind also ein Angehöriger von Herrn Dahm?«
»Ja«, sagte Stachelmann. So erfuhr er nun Adis Nachnamen.
»Das wird die Stadt freuen.«
»Wie bitte?«
»Oh, Sie wissen es noch nicht«, sagte der Arzt fahrig. »Der Herr Dahm ist verstorben, und die Stadt sucht nach Angehörigen. Die will natürlich die Beerdigung nicht übernehmen.«
Stachelmann erschrak. »An was ist er gestorben?«
»Alkoholvergiftung.«
»Warum? Hat er im Krankenhaus getrunken?«
»Ja, irgendwie ist er an Schnaps gekommen. Hat sich wohl hinausgeschlichen und sich was besorgt. Wir hatten ihn schon einigermaßen wieder auf die Beine gebracht nach seinem letzten Exzess. Vielleicht tröstet es Sie, wenn ich sage, es wäre ohnehin bald passiert. So eine Leber habe ich schon lange nicht mehr gesehen.« Der Arzt wies auf eine Tür. »Am besten, Sie gehen gleich ins Geschäftszimmer und erledigen die Formalitäten. Die Damen dort sind in diesen Dingen sehr routiniert.«
»Ja, gleich«, sagte Stachelmann und ging hinaus auf die Straße. Der Arzt starrte ihm nach, zuckte die Achseln und verschwand mit schnellen, weit ausholenden Schritten.
* * *
25. März 1979
Immer wenn ich nichts zu tun habe, überfällt mich die Angst, vor allem nachts und an solchen Tagen wie heute. Ich gebe es den anderen gegenüber natürlich nicht zu. Aber nachts schlafe ich nicht. Je länger es zurückliegt, desto häufiger fällt mir diese Szene ein. Wie der R. diese
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