Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
gereist bin. Ich dachte, ich erfahre etwas über mich selbst, kann mir vorstellen, warum ich mich eingelassen habe auf den Affentanz, wenn ich an alten Stätten bin. Aber ich habe nichts erfahren über mich. Allerdings, wäre das mit Ossi nicht geschehen, ich wäre nicht nach Heidelberg gereist. Bestimmt nicht.«
»Kannst du nicht genauer beschreiben, was dich mit Ossi so verbunden hat, dass du nun deine Existenz aufs Spiel setzt? Bohming wird sich nicht mehr weich klopfen lassen, der hatte wirklich Geduld mit dir. Und du schaffst es nicht, deine Arbeit zu korrigieren, mehr ist es ja nicht mehr, weil dich irgendwelche sentimentalen Gefühle plagen. Hast du ein schlechtes Gewissen?«
»Ein bisschen.«
»Was heißt ein bisschen?«
»Stell dir vor, eine Freundin von dir bringt sich um. Da denkst du doch nach, ob du alles getan hast, sie davon abzuhalten.«
»Warum? Wenn ich nicht weiß, was sie vorhat, wie soll ich sie dann abhalten?«
»Aber das merkt man doch.«
»Quatsch. Da gibt es so schlaue Theorien, etwa, dass Selbstmörder ihre Tat ankündigen, indem sie sich von ihrer Umgebung zurückziehen. Nur, wie soll man das merken, wenn man ohnehin wenig Kontakt hat? Du hattest wenig Kontakt mit Ossi, da gab es diese Geschichten, wo er geholfen hat, aber doch auch im eigenen Interesse. Das war es. Willst du dir vorwerfen, du hättest zu wenig Kontakt mit ihm gehabt?«
Er schaute auf die Tischplatte und spielte mit dem Teelöffel. Es tropfte auf die Tischplatte.
»Ich kenne dich inzwischen einigermaßen. Du wirst weitermachen, und wenn ich etwas dagegen sage, wirst du mir erklären, du hättest bisher in solchen Dingen immer Recht gehabt. Würde ich sagen: bisher, aber diesmal nicht, dann würdest du es mir nicht abnehmen. Wahrscheinlich hat das mit Ossi weniger zu tun als mit dir. Du gräbst in dir selbst. Das, mein Lieber, kennen wir alle, Fragen, auf die wir nie eine Antwort bekommen werden. Weil die Lage vorbei ist, in der die Fragen einen Sinn hatten. Im Gegensatz zum Rest der Menschheit aber findet sich Herr Doktor Stachelmann nicht ab damit, nein, er will es erst recht herausbekommen. Zum Beispiel, warum er sich damals eingelassen hat auf Ideen, die einem heute bestenfalls absurd erscheinen. Das ist natürlich auch ein schöner Grund, vor der Habilschrift wegzulaufen. Glaubst du vielleicht, ich kenne das nicht, dass man mit dem nicht zufrieden ist, was man geschrieben hat? Das geht jedem so. Wenn man Texte anderer Leute liest, dann staunt man im besten Fall, weil einem neu ist, was man liest. Bei eigenen Texten ist das mit dem Staunen so eine Sache. Da kann einen nichts überraschen. Damit muss man leben. Wenn du weiter den Detektiv spielen willst, darfst du heute Nacht hier schlafen, morgen aber verziehst du dich bitte nach Hause. Du wirst jetzt vielleicht einwenden, ich lieferte dich deinen Mördern aus. Wenn die Sache wirklich so gefährlich ist, wie du sagst, dann darfst du hier schon gar nicht bleiben. Die bösen Männer kriegen raus, wo du bist, du kannst dich nicht lebenslang verstecken. Zieh in ein Hotel, meinetwegen, noch überweist dir Papa Staat jeden Monat Geld. Wenn du aber vernünftig werden willst, dann bleib hier und mach deine Arbeit fertig. So, Ende der Predigt.« Sie trank Tee, dann stellte sie die Tasse ab und sagte: »Ich räume jetzt die Koffer aus, während du bitte ein bisschen nachdenkst. Du kannst mir dann ja sagen, was dabei herausgekommen ist.« Sie stand auf, strich ihm einmal über den Kopf und verließ die Küche.
Stachelmann überlegte, wie er diese Standpauke verstehen sollte. Offenbar hatte sie sich im Urlaub vorgenommen, Klartext zu reden. Sie glaubte ihm die Heidelberger Geschichte so wenig wie das, was er über Ossis Tod herausgefunden hatte. Oder es war ihr egal, was geschehen war? Weil es ohnehin nicht mehr zu ändern war? Er merkte, wie er wütend wurde. Hatte er nicht ein Recht darauf, dass sie ihn ernst nahm? Sollte er Mörder einfach laufen lassen? Und der Tod des Freundes, warum begriff sie es nicht? Er musste wissen, wie Ossi gestorben war. Und wenn er umkäme, würde sie auch nicht wissen wollen, wie und warum?
Er erhob sich und blieb einige Augenblicke unschlüssig stehen. Dann ging er zum Schlafzimmer, wo Anne die Koffer auspackte. Sie wandte ihm den Rücken zu.
»Ich fahre nach Hause«, sagte er.
»Ist gut«, sagte sie. Sie drehte sich um, schaute ihn neugierig an, dann beschäftigte sie sich wieder mit dem Koffer.
Er zögerte, dann ging er zur
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