Schatten eines Gottes (German Edition)
verschreckt aussehender Mönch das eingepackte Corpus Delicti und legte es mit zitternden Händen auf den Tisch. Emanuel griff danach. »Ihr erlaubt?« Vorsichtig wickelte er es aus. Es handelte sich um ein billiges Holzkreuz, dessen langes Mittelteil angespitzt war. »Es ist kein Blut daran.«
»Wir haben es abgewischt.«
»Hm.«
Emanuel beugte sich darüber. »Hier ist ein Name eingeritzt. Ganz frisch, die Spuren sind noch nicht verwittert.«
Auch Octavien beugte sich neugierig nach vorn, konnte die Schrift aber nicht entziffern.«
Der Prior nickte. »Es handelt sich ganz offenbar um den Namen des Dämons. Wir wollten ihn zerstören, jedoch niemand hatte den Mut, es zu tun.«
Ihr Kleinmütigen,
dachte Emanuel und fuhr mit den Fingern über die eingekerbten Zeichen. »Hultuppu«, buchstabierte er. »Es sind griechische Buchstaben.«
»Schweigt Bruder!« Der Prior bekreuzigte sich erschrocken. »Den Namen eines Dämons darf man nicht aussprechen, sonst hat er Macht über einen.«
»Und ich glaube, dass ein starkes Gottvertrauen vor jedem Dämon schützt.«
»Wisst Ihr etwas über einen Hultuppu?«, fragte Octavien.
»Nein, ich kenne mich in der Dämonenlehre nicht aus. Aber der Mörder schon. Außerdem kann er Griechisch. Er muss ein gelehrter Mann sein.«
»Und ein Feind der Kirche.«
Emanuel nickte und wickelte das Kreuz wieder in das Altartuch. »Danke Bruder, dass wir es sehen durften. Ich rate dringend, nach einem solchen Mann zu suchen. Er muss gefasst werden, sonst wird er sein blutiges Werk fortsetzen. Die Angst vor dämonischen Umtrieben ist sein Helfer.«
»Ich vertraue Euch, Bruder Emanuel. Nun, Ihr kommt aus Rom und Euer wackerer Begleiter hat bereits an heiliger Stätte gekämpft. Ihr seid in der Welt herumgekommen und wisst sicher besser über derartige Dinge Bescheid als ein kleiner Prior, der noch nie über die Grenzen von Mainz hinausgekommen ist. Ihr habt mir das Herz leichter gemacht. Auch mir ist wohler, wenn ein Mensch aus Fleisch und Blut dahintersteckt. Aber ihr seid nicht wegen unseres armen Abtes gekommen. Darf ich fragen, was euch hierher geführt hat?«
»Es existiert ein Brief meines Urgroßvaters«, ergriff nun Octavien das Wort. »Darin beschreibt er ein Objekt, das er vorübergehend in diesem Kloster deponiert hatte. Ich weiß nicht, worum es sich handelt und ob es sich noch hier befindet. Er wollte es meinem Großvater vermachen, doch es ist nie in unserer Familie angekommen. Das Andenken an ihn ist mir lieb und teuer. Und da unsere Reiseroute uns an diesem Kloster vorbeiführte, ergriff ich die Gelegenheit, um mich danach zu erkundigen.«
Der Prior wiegte den Kopf. »Euer Urgroßvater, sagt Ihr? Das muss schon hundert Jahre her sein. Freilich, für ein Kloster eine geringe Zeitspanne. Aber ganz ohne Hinweis auf die Beschaffenheit dieses Andenkens fürchte ich, Euch nicht weiterhelfen zu können. Habt Ihr den besagten Brief noch in Eurem Besitz?«
»Ich habe ihn bei mir.«
Octavien übergab dem Prior die dünne Schriftrolle.
Der Prior las das Schreiben und reichte es fast ehrfürchtig an Octavien zurück. »Die ersten Ritter vom Tempelberg, ein Brief von einem der Gründer des großen Ordens selbst, was für ein erhebendes Gefühl. Wir fühlen uns diesem Orden hier sehr verbunden. In unseren Mauern lebt ein ehemaliger Tempelritter, Yves de Monthelon, ein weit gereister Mann, schreibt und liest viel und führt eine rege Korrespondenz mit einigen gelehrten Häuptern Europas. Möglicherweise kann er Euch weiterhelfen. Aber er lebt sehr zurückgezogen. Ich muss ihn fragen, ob er mit Euch reden will.«
Der Prior schickte einen Bruder zu Monthelon. Emanuel und Octavien wechselten einen besorgten Blick. Was, wenn dieser es ablehnte, mit ihnen zu sprechen? Es dauerte jedoch nicht lange, und der Bruder meldete, de Monthelon freue sich auf den Besuch.
Yves de Monthelon bewohnte ein geräumiges Zimmer, das mit einer Mönchszelle wenig Ähnlichkeit hatte. Eher glich es einer Gelehrtenstube. Diverse Gegenstände auf Wandregalen oder auf dem Fußboden drängten sich in das Blickfeld des Besuchers, Emanuel fand sie heidnisch, so wie den ganzen Raum. Ein eigentümlicher Geruch lag in der Luft. Seine Füße versanken in einem bunten Teppich, der den gesamten Fußboden bedeckte, und anstelle von Stühlen gab es große, mit Leder bezogene Kissen.
De Monthelon selbst schätzte Emanuel auf Mitte vierzig. Er hatte einen sehnigen Körper und weißes, aber noch volles Haupthaar, das er
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