Schatten eines Gottes (German Edition)
gefällig zu sein.
»Ich weiß nicht viel«, erwiderte Monthelon, »und ich möchte euch nicht erneut enttäuschen. Bereits bei meinem Eintritt in dieses Kloster war mir bekannt, dass hier einst die Gründer des Templerordens abgestiegen waren. Ich war neugierig und studierte die Klosterchroniken. Dabei fiel mir ein kleines in Leder gebundenes Buch in die Hände. Es war ein Tagebuch, und der Verfasser war Hugo von Payens, einer der späteren Großmeister des Ordens. In dem Tagebuch fehlten einige Seiten, sie schienen mit einem Messer herausgetrennt worden zu sein. Er selbst oder jemand anderes hat es dann wohl zwischen den Chroniken versteckt. Ich nehme an, das war Euer Urgroßvater Archibald, denn in dem Tagebuch steckten auch die Kochrezepte.«
»Weshalb hat er das Buch nicht an sich genommen?«, fragte Octavien in den Raum.
»Das werden wir heute wohl nicht mehr ergründen. Auch nicht, wo die herausgetrennten Seiten geblieben sind. Jedenfalls wollte jemand heikle Stellen entfernen.«
»Heikel für wen?«, warf Emanuel ein.
»Für die Kirche? Für die Tempelritter? Wir wissen es nicht. Eines konnte ich jedoch dem Tagebuch entnehmen: Es ging um ein Pergament, das die Ritter auf dem Tempelberg gefunden haben.«
»Schon wieder ein Pergament!«, knurrte Octavien.
»Nun, wir wissen immerhin, dass es sich dabei nicht um ein Kochrezept gehandelt haben kann«, gab de Monthelon spöttisch zur Antwort. »Alle Umstände sprechen dafür, dass es ein hochbrisantes Schriftstück war. Mein Großvater hat Hugo von Payens noch gekannt. Er war ein herrischer und ungeduldiger Mann. Natürlich machtbesessen, das sind sie alle.«
Monthelon zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Er selbst, so steht es im Tagebuch, hat dann vorgeschlagen, das Pergament zu vernichten.«
»Großer Gott!«, stieß Octavien hervor.
»Konnte er denn lesen, was darauf stand? Auf einem Pergament aus der Zeit von König Herodes?«, stellte Emanuel die scharfsinnige Frage.
»Er nicht und die anderen auch nicht. Sie werden sich an einen einheimischen Gelehrten gewandt haben.«
Emanuel nickte. Das leuchtete ihm ein.
»Nachdem man es gefunden hatte, wurde wohl beraten, was zu tun sei. Die anderen jedenfalls waren dafür, es zu verstecken, denn eines Tages könne es vielleicht nützlich sein.«
»Und weiter?«
»Alles Weitere musste ich mir zusammenreimen. Ich nehme an, darüber sind sie in Streit geraten.«
»Vielleicht hat mein Urgroßvater die entscheidenden Seiten an sich genommen und das Tagebuch dann versteckt.«
»Das glaube ich nicht. Ich denke, Hugo von Payens selbst hat die Seiten entfernt, nachdem er sich nicht gegen die anderen hat durchsetzen können. Wahrscheinlich geht aus ihnen hervor, was in dem gefundenen Pergament gestanden hat.«
»Aber jetzt ist es verschwunden«, stellte Octavien fest.
»Das soll man glauben. Die Templer selber haben diese Zweifel gesät. Sie ließen verbreiten, es sei ein Gerücht, dass man etwas Großartiges ausgegraben habe, erfunden von der Kirche.«
»Habt Ihr eine Vermutung von seinem Inhalt?«, fragte Octavien.
»Da man es verheimlichen wollte, wahrscheinlich ein zerstörerischer. Nicht so sehr für die Templer als für die Kirche.«
»Was für eine Nachricht könnte denn für das Christentum so verheerend sein?«
De Monthelon zuckte die Achseln. »Nun, praktisch jede, die die Wahrheit verkündet. Schließlich ist die Einrichtung der Kirche auf Lügen aufgebaut, und das weiß man dort sehr gut.«
»Weiß der Prior wie Ihr darüber denkt?«, stieß Emanuel fassungslos hervor.
»Er kümmert sich nicht darum. Er ist gut bezahlt worden für meine Aufnahme hier.«
Emanuel schwieg, mehr überrascht als zornig. Yves de Monthelon trug seine ketzerischen Ansichten sehr gelassen vor. Furcht schien er nicht zu kennen oder nicht nötig zu haben. Was hatte das zu bedeuten? Sollte etwas Wahres an dem sein, was de Monthelon gesagt hatte? Dass Europas Kultur gegen die der Muslime barbarisch war? Waren all die Bücher, die er im Kloster studiert hatte, nur ein ganz geringer Teil des gesamten Wissens der Menschheit? Diese Vorstellung machte ihm zu schaffen. Er hatte gemeint, die Bibliothek zu Altenberg berge alles, was ein Mensch wissen musste. War ihm das meiste verborgen geblieben, weil das Christentum rückständig war? Gab es jenseits des Mittelmeeres einen Wissensschatz zu heben, der weitaus mächtiger war?
Der Prior hatte gesagt, de Monthelon korrespondiere mit vielen klugen Köpfen. Hieß das, seine
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