Schatten eines Gottes (German Edition)
führte. Der Ritter ging ihr nicht aus dem Kopf. Wenn sie an ihn dachte, schlug ihr das Herz wie verrückt gegen die Rippen.
Als sie den Waldrand erreichte, war die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden, aber Agnes war der Wald vertraut, sie fürchtete sich nicht, und sie kannte den geheimen Ort, wo die Wesen wohnten. Sie musste die Kräuter bei Mondschein pflücken, eigentlich bei Vollmond, aber da hätte sie noch einige Tage warten müssen. Es musste auch so gehen. Thymian, Bärlapp, Lavendel und Basilikum verschwanden in ihrem Beutel am Gürtel. Dazu grub sie noch ein paar Löwenzahnwurzeln aus. Für den Fliegenpilz war die Zeit noch nicht gekommen. Der wäre jetzt hilfreich, aber ein wirksamer Zauberspruch würde es auch tun.
Als sie aus dem Wald zurückkehrte, waren die Stadttore schon geschlossen, aber der Torwächter kannte sie und ließ sie durch, nicht ohne ihr eine zweideutige Bemerkung hinterher zu rufen. Zwei Stiegen hoch unter dem Dach bewohnte sie ein winziges Zimmer mit schrägen Wänden, das nur mit einer Strohmatratze, einer Wasserschüssel und einem Hocker ausgestattet war. Sie hätte sich etwas Besseres leisten können, aber sie wollte ihr Geld für schlechte Zeiten sparen.
Bei der alten Vettel, der das Haus gehörte, bat sie um eine Kerze, woraufhin die Frau etwas von ungehörigem Luxus murmelte, ihr aber einen schlecht riechenden Kerzenstumpf aus Rindertalg gab, ihn anzündete und dafür einen Kupferpfennig forderte. Agnes erklomm mit der flackernden Kerze die knarrende Stiege. Sie wollte nur noch ins Bett und dann von ihrem edlen Ritter träumen. Es dauerte nicht lange, und sie war eingeschlafen.
***
Kurz nach Sonnenaufgang verließen Emanuel und Octavien Mainz. Auf den Feuchtwiesen um den kleinen Bachlauf am Fuße des Jakobsberges hing noch der Frühnebel. Seite an Seite ritten sie schweigend in den hellen Morgen, umgeben von dem Frieden einer menschenleeren Landschaft. Nur das Konzert unzähliger Vogelstimmen und das gedämpfte Gluckern des Wassers am schilfgesäumten Bach begleitete sie, der sich durch buschbestandene Wiesen schlängelte. Der einsame Pfad wurde gewöhnlich nur von den Besuchern des Jakobsklosters benutzt oder von Fischern, die hier ihre Reusen ausgelegt hatten.
Das Benediktinerkloster lag auf einer Anhöhe und war von hohen Pappeln umgeben. Ein Ort der stillen Einkehr und des Friedens. So empfanden es die beiden. Der Bruder Pförtner, ein dicker, kurzatmiger Mönch mit roter Gesichtsfarbe, begrüßte Emanuel freundlich, Octavien mit Zurückhaltung. »Ich bin Bruder Lazarus. Was ist euer Begehr?«
Emanuel und Octavien bemühten sich, dem unpassenden Namen mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu begegnen. »Wir sind einen weiten Weg aus Rom gekommen, um hier einige Dinge aufzuklären«, erwiderte Emanuel forsch. Die rosigen Wangen von Bruder Lazarus wurden blass, aber das fiel Emanuel nicht auf. »Mein Begleiter«, fuhr er dreist lügend fort, »ist Octavien de Saint-Amand, ein Tempelritter aus Outremer, wo er vor Jerusalem gekämpft hat. Er begleitet mich seit Rom und hat mich mit seinem Schwert beschützt, denn die Straßen sind unsicher.«
Rom, Outremer, Templer, Jerusalem! Der dicke Mönch war von der Versammlung so exotischer Begriffe überwältigt und ließ die beiden unter bewundernden Blicken herein. Er rief einen Laienbruder, der sie sofort dem Prior melden sollte, ein anderer sollte sich um die Pferde kümmern.
»Euer Prior muss nicht sofort gestört werden«, wehrte Emanuel milde ab. »Es ist Zeit für die Vesper. Lasst nur eine anständige Mahlzeit und einen guten Wein auftischen, wie er in der Gegend angebaut und gerühmt wird. Nicht für mich, ich bin mit Rübenmus zufrieden, aber für diesen wackeren Tempelritter, der von Fastenspeise nicht satt wird.«
Bruder Lazarus hatte dafür volles Verständnis. Er gab dem Laienbruder Anweisung, sie gleich ins Refektorium zu bringen und dem Bruder Küchenmeister Bescheid zu sagen, dass besondere Gäste gekommen seien.
Da die übrigen Mönche sich zum Gebet in der Kapelle befanden, waren sie allein beim Essen. Beide hatten an dem Hirschbraten mit Klößen in süßsaurer Soße und dem vorzüglichen Wein nichts auszusetzen. »Bisher ist alles gut gelaufen«, brummte Octavien.
»Das war nicht schwierig. Nun ist es an Euch herauszufinden, was Eure Vorväter hier seinerzeit hinterlassen haben.«
»Ein Dokument des Erzbischofs wäre dabei behilflich gewesen.«
»Sicher, aber er will die Sache so lange wie
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