Schatten eines Gottes (German Edition)
mir das Pergament!«, krächzte er.
Der Rabbi reichte es ihm. »Es sind gute Worte, die euer Zimmermannssohn da gesagt hat. Wir halten ihn nicht für den Messias, nicht für den Sohn Gottes, aber es sind gute Worte von einem guten und weisen Menschen. Doch Ihr macht den Eindruck, als hättet Ihr den Sheitan erblickt.«
Emanuel warf ihm mit einer raschen Geste einen Beutel hin. »Da nehmt das für Eure Dienste. Wir müssen jetzt gehen.«
Hastig verstaute er beide Pergamente, das alte und die Abschrift, in einer Innentasche seines Habits und erhob sich. Er floh förmlich aus dem Haus, alle Höflichkeiten und guten Manieren vergessend. Octavien verneigte sich knapp vor dem Rabbi. »Entschuldigt meinen Freund, er ist ein bisschen durcheinander. Und seid bedankt für Eure Hilfe.«
»Die Templer waren schon immer gute Freunde der Juden und Moslems gewesen. Ich freue mich, dass wir uns begegnet sind. Ich wünsche Euch Gottes Segen auf Eurer weiteren Reise.«
Emanuel war bereits am Ende der Webergasse angelangt, er eilte mit wehenden Rockschößen voran und verschwand hinter der Synagoge Octaviens Blicken. Dieser musste laufen, um ihn einzuholen. Er war sehr ärgerlich auf den Mönch. Derb riss er ihn an der Kutte zurück. »Was ficht Euch an, Mönch! Wovor lauft Ihr weg? Gar vor mir? Oder lauft Ihr vor Eurem Gewissen davon? Da mögt Ihr hundertmal die Erde durchwandern, dem entflieht Ihr nicht.«
Emanuel blieb keuchend stehen und sah sich nach etwaigen Lauschern um. »Nicht so laut, Templer! Der Jude ist ein gefährlicher Mitwisser, und hier leben lauter Leute seinesgleichen.«
»So ein Unsinn! Den Juden kümmert es nicht, was da drin steht.«
»Er mag nicht an Jesus glauben, aber er ist schlau und weiß, dass er die christliche Kirche damit vernichten kann. Wir sollten dafür sorgen, dass er nicht redet.«
»Was meint Ihr damit? Ihn töten?«
»Seid doch still! Nicht so laut. Ja, ich fürchte, uns bleibt keine andere Wahl.«
»Habt Ihr nun gänzlich den Verstand verloren, Mönch? Wollt Ihr mit Mord die Wahrheit aus der Welt schaffen?«
»Die Wahrheit! Was nützt die Wahrheit, wenn sie tödlich ist?«
»Für wen? Für die Kirche? Für Innozenz? Wollt Ihr als gläubiger Christ Gott gehorchen oder dem Papst, weil das Eurer Karriere förderlich ist?«
»Es geht hier nicht um mich, es geht um das Bestehen der gesamten Christenheit.«
»Was wäre das für eine Christenheit, die Christus nicht nachfolgen will? Eine Chimäre!«
»Ihr habt keine Ahnung, Templer! Sie ist eine Macht, und die Kirche eine machtvolle Institution, die zerbrechen wird. Sie ist auf vielen Lügen aufgebaut, aber es sind gute und barmherzige Lügen, und die Menschen sind auf sie angewiesen. Das, was hier drin steht«, Emanuel tippte mit dem Finger auf das Pergament, »das kann niemand befolgen. Du sollst kein Wesen gering achten, du sollst dich nicht zum Herrn über andere machen. Das würde unsere Gesellschaft auf den Kopf stellen. Es würde alle Leibeigenen mit einem Schlag befreien. Wie würde Euch das gefallen, Herr Hochwohlgeboren, wenn Ihr nicht besser wäret als Euer geringster Knecht?«
Octavien zuckte mit den Schultern. »Das kann man auch anders auslegen. In der Heiligen Schrift steht: ›Liebe deine Feinde‹, doch niemand hält sich daran. Ich glaube, Ihr überschätzt die Sache. Jedenfalls werde ich nicht zum Mörder an dem Juden. Ich halte ihn für harmlos. Und die Beweise hat er uns anstandslos ausgehändigt.«
»Trotzdem. Ist Euch aufgefallen, dass der Jude am Ende des Textes zusammengezuckt ist?«
»Vielleicht ist ihm nur eine Fliege ins Auge geraten.«
»Pflegt Ihr nur weiterhin Eure Einfalt, ich fand es jedenfalls sehr bezeichnend.«
»Geht doch zurück und fragt ihn.«
Emanuel blickte scheu um sich, während Octavien langsam die Geduld verlor. »Mönch! Wenn uns etwas zustößt, dann nicht wegen des Juden, sondern von Männern, die schon immer wussten, wo sich das Pergament befindet, und dass wir es ausgegraben und entziffert haben.«
»Wer sollte davon wissen, außer dem Juden?«
»Beispielsweise der alte Burgwächter, der so plötzlich verschwunden ist.«
»Jesus! Ihr habt recht. Vielleicht war er es, der den apokalyptischen Text verfasst hat, um das Vermächtnis darunter zu verbergen. Und nun weiß er, dass ich es besitze …«
»Dass wir es besitzen, Mönch!«, unterbrach ihn Octavien barsch. »Ihr habt wohl vergessen, dass meine Vorfahren es waren, die das Pergament ausgegraben haben. Mein Anspruch darauf
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