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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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ist älter als der Eure.«
    Emanuel erbleichte. Octavien hatte recht. Aber wenn er es an sich nahm, dann würde sich sein Inhalt rasch überall verbreiten. Er vertrat eine gefährlich freisinnige Auffassung in solchen Dingen. Emanuel drehte sich um und hastete weiter, die rechte Hand auf die Brust gepresst, wo er unter der Kutte das Pergament spürte. »Nicht nur der Bischof, der Heilige Vater beansprucht es, und ihm müssen auch die Templer gehorchen.«
    »Bleibt stehen in Teufels Namen!«, brüllte Octavien. Er eilte ihm nach und stellte sich ihm breitbeinig in den Weg. »Ihr langweilt mich mit Eurem Heiligen Vater. Die Templer haben sich von den Päpsten nie etwas sagen lassen, und so beabsichtige ich es auch zu halten.«
    »Wollt Ihr es stehlen?«, schrie Emanuel ihn an.
    »Ich muss nicht stehlen, was mir gehört!«, schäumte Octavien. »Und von einem, der sich diesen unseligen Kinderkreuzzug ausgedacht hat, muss ich mir das nicht vorwerfen lassen.«
    »Ha! Ich weiß aus sicherer Quelle, dass der Heilige Vater zugestimmt hat. Ohne seinen Willen wären die Kinder niemals marschiert.«
    »Vielleicht waren die Kirchenvertreter begeistert, Euer Seelenheil bei Gott dürftet Ihr jedoch verspielt haben.«
    Emanuel war leichenblass. »Ich erwarte von Euch keine Absolution.«
    »Die bekommt Ihr auch nicht. Es liegt ein Fluch auf dem Vermächtnis. Spürt Ihr das nicht? Kaum ist es in Euren Händen, zerbricht unsere Freundschaft.«
    »Unsere Freundschaft?«, echote Emanuel.
    »Ja!«, Octavien spuckte zur Seite aus. »Aber wie es scheint, ist sie hiermit zum Teufel gegangen.«
    Emanuels Augen rollten wild in den Höhlen. Beide Hände krampfhaft an die Brust gepresst wie zu einem Gebet, schrie er: »Wen wollt Ihr mit dieser Heuchelei beeindrucken? Freundschaft ist doch auch nur ein Wort, das man wie den Glauben in Goldbrokat einwickelt, damit es recht glänzt und die Elstern anlockt. Wir waren nur zwei Männer, die nach derselben Sache suchten.«
    »Wenn Ihr es so seht, dann wird es wohl so gewesen sein«, gab Octavien eisig zurück. »Ich hatte vorübergehend ein anderes Gefühl. Aber es war ein Fehler, so zu denken. Gehabt Euch wohl, Mönch! Klammert Euch an dieses Vermächtnis. Aber vergesst nicht, dass man Euch deswegen jagen wird.«
    Emanuel starrte dem Templer ungläubig hinterher. Erst als Octavien um die nächste Häuserecke verschwunden war, rief er: »Halt! Beim Gekreuzigten! Ihr könnt mich doch in dieser Gefahr nicht allein lassen!«
    Doch Octavien kam nicht zurück.
    Plötzlich fühlte sich Emanuel mit dem elenden Pergament an der Brust wie ein Hasenjunges, über dem die Falken schweben. Er hatte das Gefühl, das Ding leuchte wie eine Fackel, und jeder, der ihn ansah, wusste, dass er den Untergang der katholischen Kirche am Busen trug.
    Jäh hatte er das Gefühl, von unsichtbaren Feinden umgeben zu sein. Mit wem war der Burgwächter im Bunde? Mit wem der Jude? War es jener blinde Bettler dort, oder jener vornehm aussehende Kaufmann, der gerade einen Ballen Stoff prüfte? Er hätte das vergiftete Ding Octavien überlassen sollen. Was sollte er nun damit anfangen? Den Bischof damit unter Druck setzen? Oder gar den Papst in Rom? Bitter lachte er auf. Als Mitwisser des größten Geheimnisses der Christenheit würde er das nicht lange überleben.
    Dann dachte er an den Templer, den er durch seinen Starrsinn gegen sich aufgebracht hatte. An seine gerade Haltung, seinen Stolz und seinen Reinlichkeitswahn. Aber auch an seine spöttischen Bemerkungen, die ihre Gespräche stets wie kleine Kobolde begleitet hatten. Octavien war hochmütig und pedantisch, aber er war ein treuer Weggefährte gewesen. Er hatte Emanuel wieder aufgerichtet, nachdem er sein Keuschheitsgelübde gebrochen hatte. Octavien war – ja, er war ein Freund. Und diesen Freund wollte Emanuel auf keinen Fall verlieren.
    So schnell ihn seine Füße trugen, eilte er Octavien hinterher. Vor der Judenmauer fand ein Gemüsemarkt statt. Mit flatternder Kutte drängte sich Emanuel rücksichtslos durch das Gewühl. Die Menschen um ihn herum schüttelten den Kopf über diesen verrückten Zisterzienser, der sich benahm, als sei ihm ein Bienenschwarm auf den Fersen.
    ***
    Octavien saß im Schankraum des Gasthauses, in dem sie abgestiegen waren, und starrte missgelaunt ins Leere, während seine Finger gereizt auf dem Oberschenkel den Takt klopften. Die Enttäuschung über seinen Begleiter saß tief. Octavien hatte den eckigen, oftmals verbohrten Mönch trotz allem

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