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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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sie unfreundlich an oder äußerte anderweitig sein Missfallen. Auch fragte niemand sie, wer sie sei, woher sie komme. Sie war da, das genügte.
    »Du brauchst ein Kreuz«, sagte der Sommersprossige.
    Agnes nickte. »Ich weiß. Du hast nicht zufällig eins übrig? Wie heißt du überhaupt?«
    »Michael. Nein, ich habe keins, du musst es dir selber machen. Du kannst es aus deinem Unterkleid herausschneiden und mit Harz festkleben, das haben viele gemacht. Wenn du keine Schere hast, musst du den Stoff reißen.«
    »Ich habe ein Messer und kann nähen. Aber danke für den Rat.«
    Agnes schenkte ihm ein warmes Lächeln. »Ich heiße übrigens Agnes. Ich war Magd bei einem Bierbrauer, der hat mich von morgens bis abends geschlagen – naja, jedenfalls oft, und arbeiten musste ich bis zum Umfallen. Da bin ich weg. In Jerusalem kann es ja nur besser sein.«
    Michael nickte nur. Er hatte schon etliche solche Geschichten gehört.
    »Ihr kommt wohl auch an Rom vorbei?«
    Michael schüttelte den Kopf. »Nein. Unser Ziel ist eine Stadt namens Genua.«
    »Aber die ist auch in Italien?«
    »Ja. Es ist der Ort, wo sich das Wasser teilen wird.«
    »Das Wasser …? Ach so. Klar. Haben das die Mönche gesagt?«
    »Nein, der Prophet Nicholas. Die Mönche kümmern sich um alles Notwendige, bereiten die Stadtväter auf unsere Ankunft vor, besorgen Unterkünfte und Verpflegung, verhandeln mit den Rats- und den Domherren, sprechen mit den Bürgern und Klostervorstehern.«
    »Aber man hat euch nicht in die Stadt gelassen?«
    »Nein, wir sind zu viele. Wir bleiben vor den Stadtmauern, aber die Bewohner helfen uns, sie bringen uns Decken und zu essen. Sie erwerben sich damit die ewige Seligkeit.«
    ***
    Sinan ritt nach Norden. Er summte ein Lied vor sich hin, immer dieselbe Melodie. Er wusste nicht mehr, woher er sie kannte. Sein Hass machte ihn manchmal benommen und schmerzte wie ein Giftpfeil. Er war wie verzehrendes Feuer, ein kühler Kopf war etwas anderes. Sinan musste diesem Hass entsagen, sonst würde er ihn zerstören. Der Meister hatte ihn gewarnt. Er musste lernen, die Menschen mit anderen Augen anzuschauen, mit den Augen des Mitgefühls, denn Mithras war ein barmherziger Gott. Der Meister würde ihn fallen lassen, wenn er versagte, und ohne den Meister war er nichts.
    Der Gedanke wehte ihn an wie ein kalter Hauch und ließ ihn frösteln. Eine Krähe brach schreiend aus dem Dickicht, ein Raubvogel folgte in schnellem Flug, wie ein flüchtiger Schatten war er vorüber. Sinan zuckte zusammen.
Das war nur ein Falke, der Beute macht
, dachte er.
Nichts weiter.
    Rot und gelb versank die Sonne hinter den Feldern. Rasch senkte sich die Nacht herab. Es war die gottlose Stunde nach Mitternacht. Die Finsternis schmiegte sich wie ein Mantel um seine Lenden. Hinter dem Unterholz, das ihn begleitete wie dunkles Gewölk, befand sich der Wormser Judenfriedhof ›Heiliger Sand‹. Wen hatte er zu fürchten? Er war selbst ein Dämon. Sinan fürchtete niemanden, außer dem Schatten, der in seiner Seele wohnte.
    Er umrundete weiträumig die alte Totenstätte und genoss die Stille. Sein Weg führte nunmehr über ein steiniges Feld, dann geriet er in ein Wäldchen, wo Akazien und Ahorn wuchsen. Dort schlug er unter einem Baum sein Lager auf. In den frühen Morgenstunden weckte ihn ein Geräusch. Er war sofort hellwach. Im dunstigen Licht des Morgennebels bemerkte er einen halbwüchsigen Jungen, der sich an seinen Satteltaschen zu schaffen machte. Wie ein Schatten wollte er sich davon machen, doch Sinan war schneller. Er sprang auf, packte ihn bei den Haaren und riss seinen Kopf nach hinten. Der Junge stöhnte, ließ aber seine Beute, einen Gürtel mit Münzen, nicht los.
    »Wen haben wir denn hier? Einen frechen Dieb, der am helllichten Tag einen braven Spielmann um sein sauer erworbenes Geld bringen will!« Sinan zerrte den Jungen ins Licht. Er hatte einen feuerroten Schopf, auf seiner Stirn prangte ein Brandzeichen und auf seinem dreckigen Hemd klebte ein halb abgerissenes Stoffkreuz.
    »Beim falschen Gotte Abrahams, ein Kreuzfahrer, der das siebte Gebot nicht kennt«, amüsierte sich Sinan. Der Junge spuckte ihn an und trat nach ihm.
    Sinan stieß ihn gegen einen Baumstamm. »Nicht so heftig, Rotschopf! Gib mir erst einmal meinen Gürtel zurück!«
    »Nein!« Der Junge presste ihn an sich und funkelte Sinan trotzig an. Dann glätteten sich seine Züge plötzlich, und er verlegte sich aufs Jammern: »Ich bin ein guter Christ, aber wir vom Kreuzzug

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