Schatten eines Gottes (German Edition)
unvergänglich. Noch heute verrät der nächtliche Himmel dem Kundigen den Willen des Höchsten. Deshalb konnte unsere Religion nicht sterben. Sie lebte im Verborgenen, wo sie das alte Wissen bewahrte, damit die finsteren Mächte am Ende besiegt und überwunden werden.
Ihr glaubt, in euren Bibliotheken die Weisheit der Welt gefunden zu haben, und meint, ein gelehrter Mönch zu sein, doch was wisst Ihr schon? Ein Bruchteil dessen, was die Welt wirklich ausmacht. In den Klöstern lehren sie Euch nicht die Wahrheit, sie lehren Euch Gehorsam und lassen Euer Gehirn auf einen Blickwinkel zusammenschrumpfen, der nur noch das Kreuz und die Herrlichkeit des Papstes sieht. Schriften, die Euren Geist erweitern, halten sie für Teufelszeug, sie verschwinden in dunklen Archiven. Natürlich werden sie nicht vernichtet, denn so mancher Abt oder Bischof möchte hin und wieder gern einen ketzerischen Blick darauf werfen.«
Emanuel wollte das alles weder glauben noch akzeptieren, denn es riss ihm den festen Boden unter den Füßen weg. Aber sein Verlangen nach Wissen und sein Streben nach Macht waren stets stärker gewesen als sein Glaube, deshalb war dieser leicht zu erschüttern. Auch war er nicht geübt in Streitgesprächen, die einen anderen Glauben betrafen, er hätte sich denn mit Ketzern unterhalten. Nur mit Octavien hatte es hin und wieder ein kleines Geplänkel gegeben, aber das hatte keine Bedeutung gehabt.
Nathaniel von St. Marien war ein christlicher Abt, Klerus und Adel schätzten ihn als Gelehrten, und doch hatte er es vorgezogen, einer heidnischen Religion zu dienen. Entsprach es der Wahrheit, dass die Christen Mithras gestürzt hatten, um ihn seiner Insignien zu berauben? Hatte die Kirche über tausend Jahre dem falschen Gott gehuldigt? War alles nur ein satanisches Blendwerk gewesen?
»Ich würde gern wissen, was die Christen vom Mithraskult gestohlen haben.«
»Gewiss. Vom Heiligenschein bis zur christlichen Kommunion, von den sieben heiligen Sakramenten bis zur Auferstehung des Fleisches gibt es kaum eine Glaubenswahrheit, die sie nicht von Mithras übernommen und dann als eigene göttliche Offenbarung ausgegeben haben. Ich darf Euch einiges aufzählen:
Bei Mithras kämpft das Licht gegen die Finsternis wie Jesus gegen Satan. Sein Name bedeutet ›Vertrag‹, was die Väter des Alten Testamentes übernahmen und als ›Bund‹ bezeichneten. Wie die Mönche nennen sich seine Anhänger untereinander ›Brüder‹. Symbolisch opferte Mithras den Urstier. Aus seinem Blut erneuerte sich die Erde und alles Leben. Es ist ein Mythos. Daraus habt ihr Christen ein tatsächliches Menschenopfer gemacht.«
»Hat denn Euer Mithras dadurch auch die Menschen von ihren Sünden erlöst? Haben wir auch das von ihm gestohlen?«
»Nein. Diese aberwitzige Verbindung vom qualvollen Tod am Kreuz zur Erlösung der Menschheit, die habt ihr ganz allein hergestellt. Das ist einzigartig in allen Religionen, die mir bekannt sind, und Ihr dürft mir glauben, ich bin belesen genug.«
Emanuel erschrak immer wieder über die Kühnheit des Abtes, wie er jetzt die Erlösungslehre, den heiligen Kern der christlichen Lehre, als aberwitzig bezeichnete. Ja, er war ein großer Ketzer, aber war er auch ein Lügner?
»Waren das alle Gemeinsamkeiten?«
»Alle Diebstähle, meint Ihr wohl. Nein. Mithras’ Geburtstag ist der fünfundzwanzigste Dezember, denn mit der Wintersonnenwende erneuert sich das Licht. Die Kirche legte den Geburtstag Jesu ebenfalls auf diesen Tag, aber ohne religiöse Bedeutung, sondern aus Bequemlichkeit. Ihr stellt in den Kirchen viele Kerzen auf in der dunklen Zeit. Was ist das anderes als die Anbetung des Lichtes? Die babylonischen Magier waren weit über ihre Grenzen hinaus berühmt. Von ihrem Ruf wollte auch die Kirche profitieren, als sie drei Weise aus dem Morgenland erfand, die dem Kindlein in der Krippe huldigten, weil sie einem Stern gefolgt waren. Fälschlich wird heute behauptet, es seien drei Könige gewesen. Wenn überhaupt, dann waren es drei Sterndeuter, doch wie wir nun wissen, sind sie ohnehin nur gestohlenes Gut. Bei Mithras’ Geburt befanden sich Hirten auf dem Felde und brachten ihm die Erstlinge ihrer Herden. Mithras ist zum Himmel aufgefahren, wo er beim Jüngsten Gericht die Toten auferwecken und richten wird. Als er auf Erden weilte, nannten ihn die Menschen Weltheiland und Erlöser. Sein heiliger Tag ist der Sonntag, den ihr nun als Tag des Herrn feiert. Sein Kult kennt sieben heilige Sakramente. Ist
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