Schatten eines Gottes (German Edition)
Geheimnis der Kartäuserklause sowie das gotteslästerliche Ziel des Abtes, und ihm war klar, dass er diesen Ort nicht lebend verlassen würde. Zwar glaubte er nicht, dass Mithras Jesus ablösen würde, die Bruderschaft würde scheitern so wie die Katharer und Albigenser und andere Ketzer, die von der Kirche grausam verfolgt wurden. Aber solange er in diesem Kloster gefangen war, spielte das wohl keine Rolle.
»Ihr zeigt mir das alles doch aus einem bestimmten Grund?«
»Natürlich. Ihr sollt unserer Bruderschaft beitreten.«
Emanuel hatte diese Antwort erwartet, deshalb erwiderte er kühl: »Das kann nur ein Scherz sein. Ich bin ein Mönch und habe die Gelübde abgelegt.«
»Gewiss, aber Euer Glaube ist nicht so groß, dass Ihr dafür den Märtyrertod sterben würdet, oder irre ich mich?«
»Mein Glaube mag noch nicht so gefestigt sein, wie es wünschenswert wäre, aber nicht so schwach, um dafür irgendeinen Mithras anzubeten.«
Der Abt wies auf eine Steinbank, die an der Seite des Altars aus der Mauer gehauen war. »Setzen wir uns doch, Emanuel.«
Und als Emanuel zögerte, sagte der Abt spöttisch: »Ihr begeht keine Sünde, wenn Ihr Euch in einem heidnischen Tempel, in dem Ihr Euch nun einmal befindet, auch Platz nehmt.«
Emanuel setzte sich auf die mit Kerzenwachs befleckte Bank. Der Jüngling auf dem Altarbild schien ihn anzustarren. Gleich würde er herabsteigen und ihn selbst statt des Stieres abschlachten. Und alles auf Befehl dieses teuflischen Abtes, der das Lächeln des heiligen Josef hatte. Emanuel traute ihm alles zu. Als der Abt ihm begütigend die Hand auf die Schulter legte, zuckte er zusammen. »Fürchtet Euch nicht. Euer Leben wird erfüllter sein, als Ihr es Euch heute vorstellen könnt.«
»Innerhalb dieses Klosters? In dieser Einöde?«
»Auf die Umgebung legt Ihr Wert? Und ich dachte an Eure innere Zufriedenheit.«
»Ich wäre hier nur eine Marionette, die Ihr durch Drohungen an diesem Ort festhaltet.«
»Glaubt mir, Ihr irrt Euch. Ich will Euch hier nicht festhalten, aber natürlich will ich Euch, bevor Ihr geht – bevor wir gemeinsam nach Rom aufbrechen – von unserer Sache überzeugen. Die geistige Elite konnte sich noch nie mit der von oben verordneten Religion anfreunden. Die Edelsten des Landes schicken ihre Söhne zu uns. Sie glauben nicht unbedingt an Mithras, aber sie wissen, dass ihren Kindern hier eine umfassende und ausgezeichnete Bildung zuteilwird, die auch das heidnische Wissen umfasst. Mithras fürchtet sich nicht vor neuen Erkenntnissen, er errichtet keine bigotten Mauern gegen Wissensdurst, Neugier und selbstständiges Denken. Deshalb können die Schüler hier aus einer Fülle von Material schöpfen, die den meisten Christen verwehrt ist.«
Emanuel befürchtete, er könnte recht haben. Und ein großes Verlangen erfasste ihn danach, diesen Schatz des Wissens zu heben. Aber was war der Preis? Wie viele Anhänger hatte dieser Mithras? Wie groß war die Gruppe der Verschwörer und vor allen Dingen, wie einflussreich? Gab es gar Bischöfe und Kardinäle unter ihnen? Dann war der Stuhl Petri wirklich in Gefahr.
»Ihr glaubt, Christus zu verraten, wenn Ihr Mithras anbetet«, fuhr Nathaniel fort. »Ich versichere Euch, Ihr betet ihn bereits an, ohne es zu ahnen.«
»Das ist absolut lächerlich.«
»Keineswegs. Ihr Christen habt Mithras benutzt, um euren gekreuzigten Rabbi mit ihm aufzuwerten. Alles, was ihr Jesus zuschreibt, ist lange vor seiner Zeit geschehen und gehört zu den Legenden über Mithras. Mit ihnen und ein paar Überlieferungen griechischer Mysterien habt ihr eure neue Religion ausgeschmückt, weil ihr nichts anderes hattet als ein paar Gleichnisse eines jüdischen Sektenführers. Das, woran ihr die Menschen zu glauben lehrt, ist zusammengeraubt und gestohlen.«
»Das ist eine schändliche Lüge!«
»Nein, es ist die Wahrheit. Und bevor Ihr einwendet, es sei umgekehrt gewesen, Mithras habe bei Christus gestohlen, wisset, dass die Religion des Mithras bereits uralt ist. Sie bestand schon, bevor Abraham gelebt hat.«
»Schon vor Adam?«, spottete Emanuel.
»Das Christentum existiert seit etwa einem Jahrtausend«, überging Nathaniel den spöttischen Einwurf, »unsere Religion jedoch ist so alt wie die Menschheit selbst. Am Anfang standen die Weisen, die das Schicksal der Welt und den Willen Gottes aus den Sternbildern zu deuten wussten. Sie lasen in ihnen wie in einem Buch. Aufgeschrieben hatte es der göttliche Schöpfer selbst. Dieses Buch ist
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