Schatten eines Gottes (German Edition)
es ein Zufall, dass die Kirche ebenso viele Sakramente spendet? Die Mithrasgläubigen ließen sich taufen und feierten eine Kommunion, indem sie Hostien aus Mehl und Wasser verzehrten, die mit einem Kreuz gekennzeichnet waren. Kommt Euch das bekannt vor? Sie glauben an die Unsterblichkeit der Seele und Auferstehung des Fleisches. Am Anfang steht bei ihnen die Sintflut, am Ende das Jüngste Gericht. Soll ich mehr sagen?«
»Das klingt beeindruckend. Könnt Ihr das alles auch beweisen?«
»Ja, durch die Überlieferung und alte Schriften, sofern Ihr diese Beweise anerkennt. Aber ihr verlangt ja auch, dass wir die Heilige Schrift ungefragt übernehmen. Und diese ist bedeutend jüngeren Datums.«
»Besitzt Ihr diese Schriften?«
»Ich habe Zugang zu ihnen.«
»Ich würde sie gern einmal sehen.«
»Sie sind nur Mitgliedern der Bruderschaft zugänglich. Außerdem sind viele von ihnen in Persisch oder Sanskrit verfasst. Könnt Ihr diese Sprachen lesen oder verstehen?«
»Nein, Ihr?«
»Ich kann es.«
»Ihr habt sie gelernt, ich kann sie auch erlernen.«
»Das könntet Ihr, wenn Ihr das wirklich wolltet. Aber Ihr wollt doch an Eurem falschen Glauben festhangen.«
»Nicht einmal Ihr könnt tausend Jahre Christentum einfach vom Tisch wischen. Wie wollt Ihr dem Volk einen Mithras erklären?«
»Ihr reizt mich zum Lachen. Hat die Kirche sich jemals herabgelassen, dem Volk etwas zu erklären? Das Volk gehorcht, betet, zahlt Steuern und schweigt.«
»Und was ist mit der Kirche selbst?«
»Sie ist bereits unterwandert. Viele Kardinäle und Bischöfe stehen heimlich auf unserer Seite, außerdem viele Klostervorsteher und nicht zu vergessen die meisten Tempelritter. Der Rest folgt dann von allein.«
»Und der Heilige Vater?«, flüsterte Emanuel.
»Unsere Bruderschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, den Papst abzulösen und einen gerechteren Mann an seine Stelle zu setzen. Mehr braucht Ihr jetzt nicht zu wissen.«
»Und ich denke, jemand, der bereit ist zu morden, sollte nicht von Gerechtigkeit reden.«
»Beim Haupte des Mithras! Euer Heiliger Vater ist ein tausendfacher Mörder. Er wird seinen Platz nicht freiwillig räumen, oder? Wie viele sollen noch seinen finsteren Plänen zum Opfer fallen?«
Emanuel überlegte. Wenn Nathaniel die Wahrheit sprach, dann stand die Welt vor ungeheuren Umwälzungen. Nicht auszudenken, was alles geschehen konnte. In solchen Zeiten war es klug, auf der richtigen Seite zu stehen. Aber sagte Nathaniel die Wahrheit? War Mithras die Sonne und das Christentum der bleiche Mond, der nicht selbst strahlte, sondern sein Licht von der Sonne borgte?
Der Abt wollte die alte Religion des Mithras an die Stelle des Christentums setzen, aber war das wirklich so falsch? Die meisten Menschen würden es gar nicht merken, da sich die beiden Religionen so ähnlich waren. Nur die Machtverhältnisse ganz oben würden sich verändern.
Die Erkenntnis, dass es ihm im Grunde gleichgültig war, ob er Bischof unter Innozenz oder Mithraspriester unter Nathaniel sein würde, überraschte ihn nicht. Worin bestand der Unterschied? Diente nicht jeder Mensch als Werkzeug für einen anderen Mächtigen? Wenn er nur sein Wissen erweitern durfte und eine angesehene Stellung bekleidete, in der ihn niemand, kein adeliges Söhnchen und kein greiser Prior, demütigen durfte. Niemals wieder!
»Ihr habt mich mit Argumenten überfallen, die mich auf vielerlei Art und Weise ratlos zurücklassen. Einerseits bin ich Euch ausgeliefert, gleichgültig, wie ich mich entscheide. Das gefällt mir nicht. Andererseits habt Ihr gewichtige Gründe für Eure Sache angeführt und sie plausibel gerechtfertigt. Ja, Ihr habt recht. Ich strebe ein höheres Amt an, denn ich bin davon überzeugt, dass ich es besser auszufüllen vermag als mancher Tropf, dem es mit der Geburt in die Wiege gelegt wurde. Gerade deshalb habe ich mich schon früh mit gewissen Fragen auseinandergesetzt, die mir ein strenger Glaube eigentlich verbietet. In manchen Dingen bin ich zu einem ähnlichen Schluss gekommen. Große Teile des christlichen Glaubens wurden verfälscht, und große Teile der Kirche sind verdorben. Aber ich habe niemals die Kühnheit besessen, diese Gedanken wirklich zuzulassen. Sie haben mich eher dazu gebracht, die Menschen zu verachten, statt dazu beizutragen, etwas zu verändern. Ich glaubte stets, ein Aufsteigen in der Hierarchie wäre mir nur möglich, wenn ich die Pfade des Gehorsams strenger als andere beachtete. Ihr habt mir heute eine neue
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