Schatten eines Gottes (German Edition)
mir leid«, gab Emanuel kalt zur Antwort.
»Zynisch bin ich selber, Sarmad. Ihr wart also erfolglos. Du hast mit ihm wahrscheinlich das Vaterunser gebetet und gehofft, dass dir das Original von allein in die Tasche fliegt.«
»Er wird es uns niemals geben, es sei denn, Gott selbst gäbe ihm den Befehl dazu.«
Sinan lachte geringschätzig. »Er wartet also auf ein göttliches Zeichen? Nur wacker zugewartet, wenn ich mich um ihn kümmere, wird er das Zeichen schon erblicken.«
»Bernardo lässt sich von dir nicht einschüchtern. Er stirbt lieber den Märtyrertod.«
»Es gibt Schlimmeres als den Tod, nicht wahr?«
»Bevor du ihn anrührst, musst du erst mich umbringen!«
»Du stellst dich gegen mich?«
»Bernardo ist ein Freund.«
»Geschwätz! Er ist nur ein Mann aus deinem alten Leben.«
»Aber ein herzensguter Mensch.«
»Du willst wegen dieses Kuttenträgers gegen uns arbeiten?«
»Wenn dein Glaube verlangt, einen guten Freund zu verraten und deiner Grausamkeit auszuliefern, dann kann es nicht mein Glaube sein.«
»Du weißt ja nicht, was du da redest!«, schrie Sinan. »Wenn der Meister das erfährt, dann …« Sinan holte tief Luft: »Dann kann ich dich nicht mehr beschützen.«
»Das braucht Ihr nicht«, sagte Octavien kühl, »denn ich beschütze ihn. Ich stehe auf Emanuels und Bernardos Seite. Sagt das Eurem Meister!«
Sinan wich einen Schritt zurück. »Ihr Narren!«, stieß er zischend hervor. »Eure Gefühlsduselei gefährdet alles.«
»Das sehe ich nicht so. Bernardo wird uns nach Rom begleiten und dort predigen. Vor dem Lateran! Vor den entsetzten Ohren des Papstes. Mit dem auferstandenen Christus mitten in Rom, der die neuen Zehn Gebote verkündet, werden wir ein Erdbeben auslösen, das die Kirche in den Abgrund reißen kann.«
Sinan schwieg verblüfft. Schließlich nickte er nachdenklich und gab Octavien mit der flachen Hand einen Klaps auf den Rücken. »Bravo Templer! Ihr könnt ja denken. Der Plan gefällt mir, und dem Meister sicherlich auch. Kommt, wir sollten jetzt alle zu Bett gehen.«
***
In den frühen Morgenstunden noch vor Sonnenaufgang verließ ein Eselskarren Lucca durch das südliche Tor, das nach Rom führte. Die drei Männer auf dem Bock trugen zerschlissene Kutten und führten eine Leiche mit sich, die sie auf dem Friedhof außerhalb der Stadt begraben wollten. In einem Wäldchen, ein Stück Weges von Lucca entfernt, wurde die Leiche plötzlich lebendig. Ein Augenzeuge hätte berichten können, er habe den Herrn gesehen, der von den Toten auferstand. Aber sie waren allein.
In Lucca und der weiteren Umgebung ging in den folgenden Tagen das Gerücht um, der Herr sei wieder zum Himmel emporgefahren, aber er werde wiederkommen.
Die vier Männer warteten auf Sinan, der die Kutsche und die Pferde holte. Als er eintraf, machte sich einer der Männer, ein Benediktinermönch, mit dem Eselskarren wieder auf den Heimweg. Emanuel und Bernardo bestiegen die Kutsche, während Sinan und Octavien wieder voranritten. Sinan hatte Bernardo keines Blickes gewürdigt. Emanuel machte sich Sorgen, wie die beiden auf der weiteren Reise miteinander auskommen mochten. Er traute Sinan nicht, der sich von einem Augenblick auf den anderen in einen liebenswürdigen Spaßvogel verwandeln konnte, und doch kalt war wie die Alpengletscher.
Um die Mittagszeit legten sie eine Rast ein. Die Diener setzten sich etwas abseits ins Gras und verzehrten gemeinsam ihr Mahl. Bernardo stand unter einer Buche und beobachtete einen bunten Vogel im Geäst. Octavien wusch sich am nahen Bach. Er dachte an Agnes. Irgendwann musste er es einrichten, Bernardo allein zu sprechen. Da tauchte Emanuel auf. Er kniete am Ufer nieder und erfrischte sich Hände und Gesicht.
»Weißt du, wo Sinan ist?«, fragte Octavien.
»Nein. Ich habe ihn nicht gesehen.« Ruckartig erhob sich Emanuel. »Ich gehe nachsehen.«
Voller düsterer Ahnungen näherte er sich dem Rastplatz. Und er traute seinen Augen nicht. Bernardo und Sinan saßen unter der Buche und unterhielten sich angeregt. Neugierig schlich sich Emanuel näher, um etwas von dem Gespräch zu erlauschen. Kurze Zeit später kehrte er zum Bach zurück, von wo ihm Octavien bereits entgegen kam. »Nun?«
»Du wirst es nicht glauben. Sie sitzen beieinander wie alte Freunde und schwätzen.«
»Ist das möglich? Meinst du, Bernardo gelingt es, selbst deinen gefühllosen Bruder umzustimmen?«
Emanuel zuckte mit den Schultern. »Ach nein, eher nicht. Weißt du, sie sprachen über
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