Schatten eines Gottes (German Edition)
beschützen den Mönch. Ich konnte sie nicht beseitigen, denn Octavien ist der Sohn eines Tempelritters und Emanuel ist – nun er ist …« Sinan senkte für einen Augenblick die Lider: »Er ist mein tot geglaubter Bruder Sarmad.«
Das brachte Nathaniel doch etwas aus der Fassung. Er kam einen Schritt näher. »Bist du dir ganz sicher?«
»Das bin ich.«
Er erzählte dem Meister, was er von Emanuel erfahren hatte.
Nathaniel schwieg nachdenklich. »Wenn es so ist«, sagte er schließlich, »dann hat eine wunderbare Fügung ihn zu seinen Wurzeln zurückgeführt. Wo befindet er sich jetzt?«
»Er und Octavien sind zusammen mit dem Mönch in einer Templerherberge mit dem Namen ›Heiliger Georg‹ abgestiegen.«
Nathaniel nickte. »Ich kenne sie. Nun zu dem Pergament. Welchen Grund haben die beiden, den Mönch zu beschützen? Hat Emanuel die Seiten gewechselt?«
»Das ist schwer zu sagen«, erwiderte Sinan zögernd. »Bevor mir bekannt war, dass es sich bei ihm um Sarmad handelte, habe ich ihn – nun, ich habe ihm ein wenig Angst gemacht, damit er über das Pergament redet.«
»Du hast ihm Folter angedroht?«
Sinan räusperte sich. »So ist es. Seitdem ist ihm St. Marien zum Gefängnis geworden, so sagte er. Ich glaube allerdings nicht, dass er uns abtrünnig wird. In St. Marien hat er Honig geleckt, er kann nicht mehr das Leben eines Mönchs führen. Was den Bettelbruder angeht, sie sind alte Freunde, und Sarmad ist einfach zu weich für solche Sachen.«
»Nun, um Emanuel werde ich mich kümmern. Sieh zu, dass du den Bettelmönch irgendwo allein antriffst, und bringe ihn zum Reden. Wir benötigen das Pergament, um den Papst unter Druck zu setzen, aber auch, um meine Glaubwürdigkeit wieder herzustellen, die ich auf der Versammlung verloren habe.«
Sinan dachte an Sarmads Worte, dass Bernardo lieber sterben würde, und nachdem er den Mönch auf der Reise näher kennengelernt hatte, glaubte er das auch. Außerdem erzeugte der Gedanke, sich an Bernardo vergreifen zu müssen, unangenehme Gefühle in ihm. Das befremdete und beunruhigte ihn. Hemmungen beim Töten waren ihm fremd, und Familienbande gab es hier nicht. Spielte da noch ein anderes Gefühl mit hinein?
Das winzige Zögern, mit dem er seine Antwort einleitete, blieb dem Meister nicht verborgen. Er hob ungeduldig die rechte Braue.
»Dieser Mönch ist kein halbwahnsinniger Wanderprediger, der sich von Staub und Spinnen ernährt. Vielleicht erinnert Ihr Euch an ihn, er war seinerzeit in Begleitung von Sarmad auf der Versammlung in Altenberg. Sein Name ist Bernardo.«
»Bernardo? Der Mönch, der wie Jesus aussah? Natürlich erinnere ich mich an ihn. Er hat jetzt das Pergament?«
»Ja, und seine Predigten lassen die Menschen überall im Land zusammenströmen. Er verkündet nicht nur die neuen Zehn Gebote, die Leute halten ihn aufgrund seines Aussehens und seines Auftretens für den leibhaftigen Jesus. Ich darf Euch von unserem Erlebnis berichten, das wir in Lucca hatten.«
Nathaniel lauschte Sinans Bericht mit wachsender Erregung. Er besaß die Gabe, aus gewöhnlichen und ungewöhnlichen Begebenheiten, die andere übersahen oder als Unsinn verwarfen, Schlüsse zu ziehen und daraus Netze zu spinnen. Besonders Octaviens Vorschlag fand seine Anerkennung. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. »Gut, das ist sehr gut. Das aramäische Original können wir erst einmal vernachlässigen. Lassen wir diesen wunderbaren Jesus predigen. Er wird uns zuarbeiten, ohne es zu ahnen. Jedes seiner Worte wird einen Ziegel aus dem Gebäude der Kirche lockern und dem Papst ein Stachel im Fleisch sein. Besser könnten wir die Menschen nicht gegen ihn aufbringen.«
»Der Papst wird ihn nicht lange gewähren lassen, er wird ihn festnehmen und einkerkern.«
»O ja, das wird er. Er könnte uns keinen besseren Gefallen erweisen, als den auf die Erde zurückgekehrten Messias ein zweites Mal zu kreuzigen. Dafür werden ihn alle hassen, sie werden ihn verfluchen, und dann, Sinan, dann ist unsere Zeit gekommen. Dann wirst du den siebenten Umschlag öffnen. Doch bevor es soweit ist, erteile ich dir den Auftrag, dich, wenn er zu predigen beginnt, unauffällig unter die Menge zu mischen und mir zu berichten, wie die Stimmung im Volke ist. Ich werde mich weiterhin hier in Tibur aufhalten, es wäre nicht vorteilhaft, wenn mich jetzt jemand in Rom erblickte. Viele, die dem Papst nahestehen, kennen mich und würden sich fragen, weshalb ich ihnen keinen Besuch
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