Schatten eines Gottes (German Edition)
die den Papst und seine Diener beschimpften und verfluchten. Der Stadtpräfekt hatte eine Gruppe Soldaten aufmarschieren lassen, doch Innozenz wollte kein Blutvergießen. Ein Massaker hätte der Stadt Rom schweren Schaden zugefügt und andere Kräfte auf den Plan gerufen. Eine Hinrichtung des Bruders kam ebenfalls nicht infrage, wollte er keinen Märtyrer schaffen. Deshalb ließ er der Menge ausrichten, der Mönch sei zwar ein Scharlatan, aber kein böser Mensch. Er halte sich in seinem Wahn für den Auferstandenen, er sei krank und bedürfe der Milde. Man werde ihn gut behandeln und sich seines Wahns annehmen, bis er von seinem Irrtum geheilt sei.
***
Der Franziskanermönch hatte darauf bestanden, ihn unter vier Augen zu sprechen. Eine solche persönliche Audienz gewährte Innozenz nur hochrangigen Personen, aber in diesem Fall wollte er eine Ausnahme machen.
Der Camerlengo Savelli hatte keine Bedenken, den Mönch vorzulassen, zumal er um die Wichtigkeit der Angelegenheit wusste.
Sinan hatte das Mordwerkzeug, ein langes, schmales Messer, am linken Unterarm befestigt. Der lange Ärmel seines Habits verdeckte es. Er war ein Meister im Gebrauch dieser Waffe. Er konnte sie blitzschnell ziehen und zielgerichtet töten. In seiner Brusttasche verwahrte er eine leere Pergamentrolle.
Sinan betrat das Zimmer. Es strömte einen ihm vertrauten Geruch aus. Den Geruch der Macht. Nachdem er den Ring des Papstes geküsst hatte, blieb er in achtsamer Entfernung stehen. Innozenz kam ohne Umwege zur Sache. »Ihr seid Bruder Jakobus von den minderen Brüdern? Und Ihr habt es bei Euch, das echte Vermächtnis Jesu aus dem Heiligen Land?«
»Ich trage es bei mir, Heiliger Vater. Nachdem Eure Wachen unseren verwirrten Bruder Bernardo abgeführt hatten, haben wir es in seiner Zelle gefunden.«
»Gebt es her!«, schnarrte Innozenz.
Sinan griff in die Brusttasche und reichte dem Papst demütig das Pergament. Dieser riss es ihm förmlich aus der Hand und versuchte, die verknotete Schnur zu lösen. Sinans Griff in den Ärmel, sein Sprung und sein Zustoßen liefen in einer einzigen fließenden Bewegung ab. Die Waffe wäre bis ans Heft ins Herz des Papstes eingedrungen, jedoch die Klinge brach mit einem hässlichen Geräusch, und Sinan hielt nur noch den Griff in der Hand.
Fassungslos und wie betäubt starrte er auf den nutzlosen Stumpf. Und dann ging alles rasend schnell. Ein tollwütiger Papst, heisere Wutschreie, ein Poltern, die Tür wurde aufgerissen, zwei Soldaten der päpstlichen Leibwache stürmten herein, packten Sinan mit eisernem Griff, dann war Innozenz’ Gesicht ganz dicht vor ihm, geifernd vor Wut, ihm ins Gesicht speiend. Sinan legte verächtlich den Kopf in den Nacken und spuckte zurück.
»Höllenbrut! Dafür wirst du brennen!«, Innozenz griff ihm ins Haar und hielt eine Perücke in der Hand. »Du bist kein Mönch! Wer bist du? Wer hat dich geschickt? Wer steckt hinter dieser Verschwörung? Wer ist ihr Kopf?« Die Fragen prasselten auf Sinan ein wie ein Steinschlag.
»Steckt Euch Eure Fragen in den …«
Innozenz langte mit der Faust hin, sodass Sinans Lippe aufplatzte. »Du wirst reden! Oh, wie du reden wirst. Winseln wirst du darum, sterben zu dürfen. Weg mit dieser Kreatur, fort aus meinen Augen!«
Die beiden Männer der Leibwache zerrten Sinan mit sich. An der Tür drehte er sich noch einmal um und schrie: »Das echte Vermächtnis wirst du nie bekommen, und es wird dir das Genick brechen.«
»Welches echte Vermächtnis?«, höhnte Innozenz. »Es wurde Uns bereits glaubhaft versichert, dass es sich um eine Fälschung handelt.«
»Das ist nicht wahr!«
»Oh, ich könnte es Euch beweisen, aber das habe ich nicht nötig.«
Innozenz wandte sich von ihm ab, und die Wachen schoben Sinan auf den Flur hinaus. Etwas Fremdes, Eiskaltes durchströmte ihn, es fühlte sich an wie ein Dämon, doch diesen kannte Sinan noch nicht. Er kroch in alle Winkel seines Leibes. Er war der Vernichter, und sein Name war Würger, Umschlinger, Atemabdrücker, war Furcht und Entsetzen. Alles war aus. Das Attentat war gescheitert, das Pergament eine Fälschung. Er war verloren, die Hoffnungen des Meisters waren zerschmettert.
Doch plötzlich geriet die Situation außer Kontrolle. Der Kerl, der Sinan festhielt, fiel röchelnd mit durchschnittener Kehle zu Boden. Der andere packte Sinan am Arm und zerrte ihn mit sich durch eine kleine Tür, die man mit bloßem Auge kaum bemerkt hätte. Ein Geheimgang! Er führte hinaus in die Gärten.
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