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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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»Unauffällig weitergehen«, zischte der Mann Sinan zu. »Wir müssen zur Heiligen Treppe. Dort führt ein weiterer Gang in die Katakomben der Heiligkreuzkirche.«
    Sinan faltete seine Hände über dem Zingulum, beschleunigte aber seine Schritte. »Wer bist du?«
    »Mein Name ist Michael. Ich gehöre zur Bruderschaft. Wusstest du nicht, dass der Papst unter seinen Gewändern stets ein Kettenhemd trägt, wenn er jemanden allein in seinem Arbeitszimmer empfängt?«
    Sinan schüttelte wie betäubt den Kopf. »Mein Fehler. Ich hätte mich erkundigen müssen.«
    Sie hasteten durch die Gewölbe der Heiligkreuzkirche und dann weiter durch etliche unterirdische Gänge, bis sie auf freiem Feld wieder an die Oberfläche gerieten. »Das waren damals Verstecke der ersten Christen«, grinste Michael. »Nun haben sie uns beide gerettet.«
    Sinan legte ihm beide Hände auf die Schultern. »Ich danke dir, Michael. Möge das Licht mit dir sein. Von hier aus komme ich allein zurecht. Was wird nun aus dir?«
    »Mache dir um mich keine Sorgen. Der Meister hat für alles gesorgt.«
    Sinan wären beinahe Tränen in die Augen geschossen. »Großer Gott, ich habe versagt, alles ist aus. Ich bin eine Schande vor dem Angesicht Mithras’. Niemals werde ich die Stufe des Parsen erreichen. Die Bruderschaft ist am Ende.«
    Michael umarmte ihn tröstend. »Nein, es ist eine Niederlage, aber nicht das Ende. Der Meister weiß immer einen Ausweg.«
    Nathaniel stand in der Tür, bekleidet mit dem ärmlichen Gewand eines mittellosen Pilgers, sich auf einen Knotenstock stützend. Auch er schien in diesen Zeiten zur Verkleidung greifen zu müssen.
    »Meister!«, rief Sinan atemlos und eilte herbei, um vor ihm niederzuknien. »Ihr habt es schon vernommen, nicht wahr?«
    »Ganz Rom spricht von nichts anderem.«
    Ohne den Knienden weiter zu beachten, ging Nathaniel an ihm vorbei, setzte sich an einen Tisch und lehnte den Stock dagegen. »Steh auf! Komm näher!«
    Sinan erhob sich und schlich herbei wie ein geprügelter Hund.
    »Was ist denn das?«, fragte Nathaniel, nahm den Stock und klopfte damit wütend auf den Boden. »Ist das Ranush, der den Weihegrad des Löwen errang? Oder den eines Hauskaters? Nein, das wäre noch zu hoch gegriffen. Du bist eine Maus, die vergeblich nach dem Mauseloch sucht.«
    »Meister, ich …«
    »Schweig! Und setz dich! Das Attentat ist misslungen. Das ist ein schwerer Schlag für uns, wir liegen am Boden, aber wir werden wieder aufstehen. Man darf Männern wie Innozenz nicht die Welt überlassen, nicht wahr?«
    »Es wäre gut gegangen, wenn der Teufel kein Kettenhemd getragen hätte«, knurrte Sinan.
    »Hast du geglaubt, der mächtigste Mann auf Erden würde sich nicht schützen? Nur, wenn er in seiner Privatkapelle betet, trägt er das Kettenhemd nicht.«
    Sinan starrte auf den Boden. »Ja, das hätte ich bedenken müssen. Es war mein Fehler.«
    »Du bist dir deiner selbst zu sicher gewesen. Du glaubtest, die Welt gehöre dir, weil sie dir überall, wohin du kamst, zugelächelt hat.«
    Sinan schwieg. Der Hass auf sich selbst brodelte in ihm wie eine schwarze Gewitterwolke.
    »Trotz allem«, fuhr Nathaniel fort, »du bist entkommen. Die Gerüchte aus dem Lateran wollen wissen, du habest unter den Leibwächtern einen Liebhaber gehabt, der dir zur Flucht verholfen hat.« Er lächelte amüsiert.
    »Unsinn! Michael stand in den Diensten der Bruderschaft.«
    »Ich weiß. Dank dieses tapferen Mannes ist noch nicht alles verloren. In den Händen der Kurie hättest du uns alle verraten.«
    »Niemals!«, brüllte Sinan und sprang von seinem Stuhl auf. »Ich hätte niemals …«
    »Schweig!«, Nathaniel wedelte mit der Hand. »Setz dich wieder. Wer kann von sich sagen, er habe der Folter widerstanden? Gerade du müsstest am besten wissen, was Schmerzen bei einem Menschen anrichten, und du bist auch nur ein Mensch, Sinan.«
    Sinan vernahm die Worte wie durch ein Wolltuch. Der Meister hatte recht. Hatte er jemals den Schrecken kennengelernt, der die Glieder lähmte? Sinan konnte sich nicht erinnern. Sein Körper, seine Seele schienen nur Werkzeuge der Täuschung zu sein. Er war ein Meister darin, andere zu durchschauen und ihnen jedes Gefühl vorzugaukeln. Trauer und Freude, Mitgefühl und Hass, Schwermut und Fröhlichkeit. Was immer verlangt wurde, er konnte es liefern. Er war den Leuten ein Harlekin, doch sein Inneres war davon unberührt geblieben. Es gab nur einen Menschen auf der Welt, den Sinan wirklich schätzte, und das war er

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