Schatten eines Gottes (German Edition)
Wie hast du dich verändert!«
Innig erwiderte Bernardo die Umarmung. »Ich hoffe, nicht zu meinem Nachteil.«
»Bei der Heiligen Jungfrau, nein! Sehr zu deinem Vorteil. Jesus! Ich glaubte dich tot, verrottet in Roms Kerkern. Wie ist dieses Wunder möglich geworden?« Er schob ihn auf Armeslänge von sich. »Du siehst aus wie einer, der Abenteuer sucht, sehr weltlich für einen Franziskanermönch, das muss ich schon sagen.«
Bernardo lächelte. »Auch du siehst nicht gerade wie ein Zisterzienser aus, der sich der strengen Regeln Benedikts unterwirft. Führt man bei den Kartäusern ein derart lockeres Regiment?« Er wies auf Emanuels Rock. »Was du da trägst, ähnelt nur noch entfernt einem Habit, mich erinnert das Stück an einen orientalischen Kaftan.«
»Es ist ein Kaftan«, erwiderte Emanuel lächelnd. Er wies auf das bunte Kleidungsstück auf der Bank. »Was ist das denn? Gehört das dir? Es sieht aus wie das Gewand eines Narren.«
Bernardo nickte. »Das Schelmenkleid erhielt ich vom Papst in Rom. Er hatte Angst vor mir. Vor mir, verstehst du das, Emanuel?«
»Oh ja. Du trugst Gott in dir, den wahren Gott, den Innozenz nie gekannt hat. Vor ihm hat er sich gefürchtet.«
»Ja, so war es. Er ließ mich nicht foltern, er ließ mich nicht hinrichten. Aber die Menschen wollten mich hören. Da ließ er verbreiten, ich hätte den Verstand verloren und bekleidete mich mit diesem bunten Ding. Und ich erkannte die Weisheit Gottes, der selbst durch das Tier auf dem Heiligen Stuhl wirkt: In einer Welt, wo die Bosheit herrscht, muss man zum Narren werden.«
»Wahre Worte, Bruder Bernardo. Doch nun musst du mit mir kommen und mir alles erzählen, ich platze vor Neugier.«
Bernardo warf dem Prior, der die beiden halb amüsiert, halb verwundert beobachtete, ein Augenzwinkern zu. »Mir wurde zuerst ein Bad und eine gute Mahlzeit versprochen.«
»Das kannst du alles bei mir bekommen«, kam Emanuel der Antwort des Priors rasch zuvor. »Aber nicht hier im Kloster. Komm mit, du wirst staunen.«
»Du willst ihn mit in die Stadt nehmen?«, fragte der Prior misstrauisch.
»Bernardo ist ein guter Freund, ich verbürge mich für ihn.«
»Aber er ist doch ein Franziskaner?«
Emanuel wusste, was der Prior damit sagen wollte. Er ist ein christlicher Mönch, der uns verraten könnte.
»Und ich bin Zisterzienser und lebe doch in Neubabylon.«
»Dich hat der Meister eingeführt.«
»Hm.« Emanuel fiel ein, dass er Bernardo noch nicht nach dem Grund seines Hierseins gefragt hatte. Was hatte ihn hergetrieben? Woher wusste er von St. Marien? Diese Fragen stellte er ihm.
Bernardo erzählte es ihm in kurzen Worten. Das Pergament erwähnte er nicht. Er sagte nur, dass er seine Botschaft dem Abt Nathaniel persönlich ausrichten müsse. Das habe er versprochen. Wem? Einem Michael.
Emanuel kannte diesen Michael nicht, aber er schien ein Mitglied der Bewegung zu sein. Weshalb schickte er einen christlichen Mönch mit einer Botschaft? Doch nur, weil er ihm vertraute. Emanuel kannte Bernardo als herzensguten Menschen, insgeheim hatte er ihn stets für viel zu gut gehalten, gutgläubig bis an die Grenze der Einfalt, aber er würde sich niemals für eine schlechte Tat missbrauchen lassen. Es sei denn, er könnte die Sache selbst nicht einschätzen. Da erinnerte sich Emanuel an das Pergament. Befand es sich immer noch in Bernardos Besitz? Oder hatte er es dem Papst letztendlich aushändigen müssen?
Viele Fragen, aber die wollte er nicht im Zimmer des Priors erörtern.
»Bist du bereit, bei mir auf die Rückkehr Nathaniels zu warten?«
Bernardo nickte. »Das habe ich deinem Prior bereits gesagt.«
Emanuel nickte Bruder Maleachi zu. »Dann bestehe ich darauf, dass er bei mir wohnt. Der Meister soll dann selbst entscheiden, wie zu verfahren ist.«
***
Bernardo fragte sich, von welcher Stadt Emanuel gesprochen hatte, als er ihm auf dem schmalen Pfad durch wildes Gestrüpp folgte. Emanuel machte ein Geheimnis daraus, aber Bernardo fragte nicht, denn er auch er trug eines bei sich. Natürlich hatte Emanuel es ausgegraben, aber Bernardo war sein Hüter, jedenfalls, bis sich die Dinge änderten.
Als sie Neubabylon wie ein schimmerndes Kleinod in einer grünen Schale vor sich liegen sahen, erlag Bernardo wie alle Besucher zuvor seinem beispiellosen Reiz. Er war durch viele Städte gewandert, hatte Rom gesehen, aber nichts, was mit dieser winzigen Stadt vergleichbar war. Unmöglich, dass Menschen sie an dieser Stelle erbaut hatten.
»Das
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