Schatten eines Gottes (German Edition)
auf der Herreise umringt hatten, weil sie ihn für den leibhaftigen Christus hielten. Wie hatte ihm das geschmeichelt. Wohl hatte er bescheiden abgewehrt, aber ihre Zuneigung doch genossen. Wenn er jetzt zurückdachte, beschlich ihn ein Unbehagen. Nicht nur, weil er sich der Hoffart schuldig gemacht hatte. Es waren die Menschen, die ihm zugejubelt hatten. Irgendetwas war falsch an dem Bild. Irgendwo verbarg sich ein Ärgernis. Und eines Tages glaubte er, es gefunden zu haben.
Bernardo befürchtete, wenn er als Mönch reiste, würden ihn Häscher des Papstes aufspüren, und er würde das Pergament nicht dem Kartäuserabt aushändigen können, so wie er es versprochen hatte. Deshalb schlüpfte er auf den belebten Plätzen gern in sein Narrenkostüm. Er benahm sich wie ein Narr, und er predigte wie ein Narr, wobei er die Wahrheit in Späßen verpackte. Dabei stolperte er konfus herum, drehte sich im Kreis, fiel hin, rappelte sich wieder auf und zeigte allen eine lange Nase. Die Kinder lachten, und er sah sie so gern lachen, nachdem er so viele hatte weinen sehen. Aber die Erwachsenen lachten auch, sie waren gekommen, geradeso wie in Lucca und in Rom, sie hörten ihm zu, sie klatschten, aber sie verstanden nichts. Und da begriff Bernardo.
Die meisten waren blind und taub. Sie jubelten jedermann zu, wenn er sie nur unterhielt oder ihnen das ewige Heil auf einem Tablett servierte. Jemand musste sie aufwecken, denn es hieß doch: ›Wer Ohren hat zu hören, der höre, und wer Augen hat zu sehen, der sehe!‹ Aber man hatte ihnen die Ohren verstopft mit Unwahrheiten und die Augen verklebt mit leeren Ritualen und verlogenen Bildern. Aber am schlimmsten war, dass man ihre Herzen verhärtet hatte. Bernardos Augen aber öffneten sich. Er hatte das Elend gekannt, er hatte es gesehen, es hatte ihn bedrückt, aber er hatte geglaubt, mit einem Kinderkreuzzug könne man es beheben. Was für ein entsetzlicher Trugschluss! Hätte er den Knaben Nicholas damals – wenn auch in gutem Glauben – betrogen, wenn er die neuen Gebote Jesu schon gekannt hätte? Gewiss nicht.
Um nicht länger für Jesus gehalten zu werden, hatte er sich den Bart scheren lassen und das lange Haar mit einem Lederband zu einem Zopf gebunden. Wenn er nicht den Narren spielte, trug er weltliche Kleidung. Nun sollte ihn noch jemand für den Herrn halten oder für einen Mönch. Nicht, dass er der Eitelkeit gefrönt hätte. Sein jetziger Rock war auch nur aus einfachem Tuch, aber doch sehr kleidsam.
Die Reise war lang und auch manchmal beschwerlich, aber diesmal konnte er unbeschwert ausschreiten, denn er reiste nicht als Bettelmönch. Er besaß genug Geld für ein weiches Nachtlager und eine gute Mahlzeit. Auch trug er keine schwere Verantwortung außer der, die er in seiner Brusttasche verwahrte. Und als er das Gebirge hinter sich gelassen hatte, vor sich die weiten, grünen Hügel des Voralpenlandes, da schenkte ihm Gott ein so großes Glücksgefühl, dass er singend die Landstraßen durchwanderte. Der Gedanke an ein Martyrium war von ihm gewichen. Eine unbändige Lebensfreude hatte ihn ergriffen, weil er bei jedem Schritt fühlte, dass Gott ihm verziehen hatte.
Soviel Fröhlichkeit strahlte er aus, dass ihm Dinge passierten, die in seinem Leben bisher nicht vorgekommen waren. Die Mädchen schauten den gut aussehenden, braun gebrannten Burschen gern an, was Bernardo wie einen Buben erröten ließ. Er konnte ihnen nicht gram sein, denn er sah nun einmal nicht mehr wie Jesus aus, nicht einmal wie ein Mönch. Eher wie ein Luftikus, der die Sonnenseiten des Lebens suchte und fand. Er begegnete ihnen freundlich, aber jenes Gefühl, das Männer außerhalb des geistlichen Standes mit Fug und Recht bei ihrem Anblick empfinden durften, wollte sich bei ihm nicht einstellen. Zuerst wunderte er sich darüber, doch dann dankte er Gott, dass dieser ihn ganz offensichtlich vor der Sünde der Unkeuschheit bewahren wollte, denn trotz der äußerlichen Veränderungen war er immer noch ein Mönch, wenngleich er das schmutzige, zerfranste Stück Kutte längst weggeworfen hatte.
***
»Ehrwürdiger Prior«, meldete Bruder Ambrosius aufgeregt, »an der Pforte ist ein Besucher, der den Meister sprechen möchte, er behauptet er sei ein Mönch, aber …«
»Nun, was für ein ›Aber‹ hast du vorzubringen?« Bruder Maleachi, draußen in der Welt als Ritter Gottfried bekannt, vertrat den Abt in dessen Abwesenheit.
»Er sieht gar nicht wie einer aus, eher wie ein – wie ein
Weitere Kostenlose Bücher