Schatten eines Gottes (German Edition)
Emanuel, dem Bruder die seidenen Mantelzipfel zur Seite zu schieben, um sich am Anblick seines Gemächts zu erfreuen, wie es still und ermattet zwischen seinen Schenkeln ruhte. Und immer noch schämte er sich dieser Gedanken. Sie waren schließlich beim Essen, und es war schlimm genug, dass die Lust sie bereits im Bad wieder überwältigt hatte.
Bernardo schien die Sache leichter zu nehmen. Bis zu seiner Läuterung hatte der Gedanke an Unkeuschheit ihm keine schlaflosen Nächte bereitet. Er hatte das Geschlechtliche aus seinem Leben völlig ausgeklammert, es war einfach nicht vorgekommen, weder in seiner satanischen noch in seiner leidenschaftlichen Form. Und jetzt, da sein Verlangen geweckt war, hielt er es für ziemlich vernünftig. Beide beschenkten einander, beide fühlte sich gut dabei, war das nicht ein christlicher Gedanke?
»Ich denke«, begann Emanuel, um sich von seinen schamlosen Vorstellungen abzulenken, »du solltest mir nun sagen, weshalb du den weiten und beschwerlichen Weg nach St. Marien gekommen bist. Ja, ich weiß, du sollst es nur dem Abt sagen, aber er ist nun einmal nicht da, ich nehme an, er ist in Rom, und er wird so bald nicht hier erscheinen. Also kannst du es ebenso gut mir sagen.«
Bernardo nickte und wies auf seinen Kittel, den er nachlässig über einen Hocker geworfen hatte. »Dort ist es eingenäht, das Pergament, nach dem alle gesucht haben.«
»Das Pergament? Du meinst, das Palimpsest? Das Octavien und ich gefunden haben?«
»Ja. Ihr habt es gefunden, doch es kam euch abhanden. Aber Gottes Wege sind unergründlich. Auf absonderliche Weise gelangte es in meinen Besitz, und ich habe es seitdem beschützt, denn die wunderbare Botschaft unseres Herrn Jesus Christus gefällt der Kirche nicht.«
»Ich weiß. Sie würde ihr den Boden unter den Füßen wegziehen. Das ist auch der Grund, weshalb Abt Nathaniel, den sie hier den Meister nennen, das Pergament an sich bringen wollte. Mit seiner Hilfe sollte der Papst gestürzt werden. Durch die Verstrickungen ist er innerhalb seiner eigenen Bewegung gescheitert. Eine wahre Tragödie.«
»Aber nun wurde es gefunden. Es ist doch nicht zu spät, oder?«
Emanuel zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Der Abt ist sehr ehrgeizig, und er wird seine Scharte auswetzen wollen. Wenn er wüsste, dass es sich nun in Neubabylon befindet, würde er stehenden Fußes herbeieilen.«
»Du erwähnst die Bewegung. Auch jener Michael, der mich hierher schickte, sprach von ihr. Was hat es mit ihr auf sich?«
Da begann Emanuel, ihm alles zu erzählen. Wie er auf sie aufmerksam gemacht worden war, von seinen Zweifeln und dass er am Ende von der guten Sache überzeugt war.
»Glaubst du an diesen Mithras?«, fragte ihn Bernardo.
»Nein, natürlich nicht. Er ist nur die Hülle, die alles zusammenhalten soll.«
»Für die Einfältigen?«
»Mein Gott, Bernardo. Es wird immer Einfältige geben. Und es wird immer Menschen geben, die einen Gott benötigen. Einen Gott und seine Gesetze. Gute Gesetze, so wie sie im Pergament aufgeschrieben sind.«
»Du glaubst aber nicht, dass unser Herr Jesus Christus sie diktiert hat?«
»Was weiß ich. Ist das nicht belanglos? Wer auch immer sie niedergelegt hat, war ein kluger und ein gütiger Mensch. Sein Name ist mir gleichgültig.«
»Aber für die meisten ist es nicht unwichtig, ob Gott oder ein Mensch diese Gebote erließ.«
»So ist es. Deshalb schaffen wir Gott auch nicht ab.«
»Das wäre ja auch sehr vermessen.«
»Findest du? Hör mal, Bernardo, so wie ich mich aus dem Gefängnis meiner Scham befreien muss, solltest du dich von den Fesseln der Überlieferungen befreien. Glaube an Gott, aber fliehe die Religionen.«
»Ich habe mich von der Kirche losgesagt. Aber eben die Bewegung will eine neue Religion gründen.«
»Weil sie Halt gibt. Aber du und ich und viele andere beschreiten einen anderen, einen ganz neuen Weg. Es soll eine Art Wiedergeburt werden, verstehst du? Wissenschaft, Kultur, Toleranz, Friede unter den Völkern und Gerechtigkeit sollen herrschen. Wer, wenn nicht die Gebildeten, können diese Herrschaft errichten? Der Bauer auf dem Feld? Nein. Aber schon seine Enkel werden vielleicht diese neue Welt schauen.«
Bernardo lächelte. »Das wäre wunderbar. Aber um all das zu erreichen, muss ich meinem Herrn Jesus Christus nicht abschwören. Er hätte dasselbe gesagt. Nur jene, die ihm nachfolgten, wichen von seinem Wege ab.«
»Ja, und dass das Palimpsest nach Neubabylon getragen wurde, ist ein
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