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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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und um sie zu werben. Denn keine Religion konnte ohne Anhänger bestehen.
    Nathaniel gedachte, die Herrschaft des Geistes aufzurichten, sie an die Stelle des Aberglaubens zu setzen. Und seine Idee schien langsam Früchte zu tragen. Jedoch er hatte Fehler begangen. Vielleicht nur einen Einzigen: Er hatte nicht bedacht, dass ein solches Vorhaben mehr Zeit als ein Menschenleben benötigt. Er hätte die behutsamen Anfänge wachsen lassen müssen, doch das hätte bedeutet, die Früchte seinen Nachfolgern zu überlassen, und das war nie Nathaniels Absicht gewesen. Die neue Ordnung sah er nur mit ihm selbst an der Spitze sich erfüllen.
    Am Ende hatte er die Sache überstürzt. Den Begriff ›Scheitern‹ wollte er nicht in seinem Wortschatz dulden. ›Vorübergehend zurückgeworfen‹, das ja. Aber einem Manne wie ihm standen auch noch andere Möglichkeiten offen. Manchmal war es besser, den eingeschlagenen Weg abrupt zu beenden und sich dem einstigen Gegner entgegenzuwerfen mit der Absicht, ihn unter zentnerschwerem Gewicht von Anteilnahme und Unterstützung zu erdrücken. Ein brandgefährliches Spiel, das ihm da in den Sinn kam, aber auch eine Herausforderung, seiner würdig.
    ***
    »Der Abt Nathaniel aus dem Kartäuserkloster St. Marien in der Eifel bittet um die von Eurer Heiligkeit gewährte Audienz.« Savelli, der stets Gegenwärtige, leierte die Formel herunter. Dem nicht sehr großen Mann mit dem Gelehrtengesicht und den schmalen Schultern widmete er nicht mehr als die gebotene Aufmerksamkeit.
    In jüngeren Jahren hatte Nathaniel schon einmal die Gelegenheit gehabt, anlässlich einer Audienz, die einer Delegation seines Klosters gewährt worden war, Innozenz aus der Nähe zu betrachten. Schweigend und fast unsichtbar hatte er sich im Hintergrund gehalten, so unscheinbar und stumm wie ein Vorhang oder ein Wandteppich, und hatte den Papst in Gestik und Worten studiert. Damals hatte Nathaniel das Bild einer Persönlichkeit gewonnen, die den vielfältigen Verantwortlichkeiten seines Amtes mehr als gewachsen war. Mochten dessen Gegner ihn für größenwahnsinnig halten, Nathaniel tat das nicht.
    Während sich Savelli zurückzog, betrat Nathaniel das ihm bereits vertraute Zimmer, dabei lächelte er Savelli freundlich zu, was an dem Camerlengo abglitt wie nasse Seife. Nathaniel störte das nicht im geringsten, war seine Freundlichkeit doch auch nur aufgesetzt. Aber Männer, die sich der unmittelbaren Nähe zum Papst rühmen konnten, durfte man nicht brüskieren, jedenfalls noch nicht.
    Er spürte, dass sich in diesem kleinen, bescheiden eingerichteten Arbeitszimmer das Machtzentrum der ihm bekannten Welt befand. War es in diesem Zimmer, wo Sinans Attentat fehlgeschlagen war? Bescheiden blieb er an der Tür stehen und schaute auf den Mann, der längst tot sein sollte, der auf dem Stuhle saß, der ihm – Nathaniel – gebührte.
    Der Raum, in dem der Papst seinen Besucher empfing, enthielt auch einige persönliche Gegenstände. Auf dem wuchtigen Schreibtisch stand noch ein Schachspiel, das Innozenz vielleicht mit seinem Sekretär ausgetragen hatte. Offensichtlich wollte er den hierarchischen Abstand zu dem Abt etwas verringern. Auch äußerlich schien er dazu beitragen zu wollen. Er trug eine schlichte, weit geschnittene Soutane, darüber ein silbernes Kreuz und am Gürtel einen schlichten Rosenkranz aus Holzperlen.
    »Eure Heiligkeit!« Nathaniel kniete nieder und küsste den Ring des Bischofs von Rom.
    »Erhebt Euch, Abt Nathaniel! Wir sind überrascht und erfreut, Euch zu sehen. Seit Ihr Euer Mutterkloster Kaisariani verlassen habt, um Euch nach St. Marien zurückzuziehen, haben wir Euer Wirken in Athen schmerzlich vermisst.«
    »Ich weiß, Heiliger Vater. Doch Ihr kennt auch die Gründe. Der Mainzer Erzbischof …«
    »Genug! Wir hatten damals unsere Zustimmung erteilt, und Euer Wirken als Hirte und als Gelehrter hat Uns von der Richtigkeit mehr als überzeugt.« Er wies auf einen Stuhl mit rotem Samtüberzug. »Nehmt doch Platz.«
    Der Stuhl befand sich am Schreibtisch, hinter dem Innozenz nun verschwand. Ein nicht unwesentlicher Umstand, er bewies, dass der Papst um Augenhöhe bemüht war.
Wie viele mächtige Männer mögen hier schon Platz genommen haben,
ging es Nathaniel durch den Kopf, während er der Aufforderung nachkam.
Wie viele hoffnungsvolle und wie viele verzweifelte Männer, deren Bitten in den Wind geschlagen worden sind.
    »Ihr kommt in einer unruhigen Zeit.«
    »Welche Zeiten wären das jemals nicht

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