Schatten eines Gottes (German Edition)
Zeichen. Vielleicht von Gott, vielleicht ist es aber auch nur ein Werkzeug, das unserer neuen Idee den Boden bereitet.«
Bewegt ergriff Bernardo Emanuels Hand. »Und ich war der Überbringer. Das macht mich sehr glücklich.«
Emanuel errötete tatsächlich unter der zarten Berührung. »Dann hoffe ich, dass du bei uns bleiben wirst. Hier in Neubabylon mit der größten und schönsten Bibliothek auf der Welt.«
Bernardo drückte ihm die Hand. »Und mit dem schönsten und klügsten Geliebten auf der ganzen Welt. Glaubst du, ich könnte dich wieder verlassen?«
»Nein«, hauchte Emanuel völlig kraftlos. Sie sahen sich an, ihre Lippen bebten. Ihre Liebe war noch so frisch, und ihre Bedürfnisse noch so unbefriedigt. Nur zwei, drei Sekunden Schweigen, das alles sagte, dann glitten ihre seidenen Mäntel lautlos zu Boden.
Audienz beim Papst
Niemand litt stärker unter der Niederlage der Bewegung als der Kartäuserabt. Nachdem seine Freunde wieder in ihre Heimatorte zurückgekehrt waren, vergrub er sich wochenlang in seiner Villa in Tibur. Nur wenige wussten überhaupt, dass Nathaniel sich dort aufhielt. Aber er war kein Mann, der aufgab. Unablässig erwog und verwarf er neue Pläne, um sein Ziel, für das er ein Leben lang gekämpft hatte, doch noch zu erreichen: den Heiligen Stuhl zu besteigen. Er wollte Papst werden, die Tiara tragen. Die Kirche empfand er als rückständig, aber sie war eine mächtige Kraft, sie hatte Macht nicht nur über die Lebenden, sondern auch über die Toten. Jeder Herrscher vermochte die Menschen mit Feuer und Schwert zu drangsalieren, die Kirche besaß feinere Methoden der Unterdrückung: Jenseitshoffnung und Gottesfurcht, Erwartung des Jüngsten Gerichts, die Angst vor dem Fegefeuer und der ewigen Verdammnis und für mächtige Aufmüpfige das drohende Schwert der Exkommunikation; das waren die Werkzeuge, mit denen die Nachfolger Christi die Menschen unter das Joch zwangen. Aber gleichzeitig war die Kirche für Männer, die sich der Vernunft und dem frei waltenden Geist verschrieben hatten, unerträglich.
Seinerzeit war Nathaniel nur ein unbedeutender Abt in Kaisariani gewesen, aber von scharfem Verstand und einem brennenden Ehrgeiz erfüllt. Jedoch die Aussicht, jemals Bischof oder gar Kardinal zu werden, war verschwindend gering. Die römische Kurie nahm ihn, wenn überhaupt, nur am Rande wahr. Vermögen, um sich ein Amt zu kaufen, besaß er keins. Deshalb entwickelte er einen Groll gegen die römische Kurie und schmiedete andere Pläne. Eine fantastische Idee nahm langsam Gestalt an. Eine andere, ebenso mächtige Religion musste geboren werden, deren Gründer er selbst war. Aber so etwas schüttelte man sich nicht einfach aus dem Mönchsärmel. Es hätte nichts gebracht, etwas Neues zu erfinden. Schwärmer mit unsinnigen Träumen gab es im Lande zuhauf, und wenn sie sich zu weit aus der Deckung wagten, wurden sie als Ketzer verurteilt. Nathaniel musste einen ganz neuen Weg beschreiten, der die Risiken verminderte und die Erfolgsaussichten erhöhte. Einen ganz Neuen oder – einen ganz Alten. Einen bewährten, aber längst vergessenen Weg.
In seinem Kloster auf dem Hymettos war er schon in seiner Jugend mit den Schriften aus dem Orient vertraut gemacht worden. Tempelritter und gelehrte Muslime besuchten den Ort, und ihre Kenntnisse und Weisheiten beeindruckten ihn tief. So kam er auch mit dem persischen Mithraskult in Berührung, der im Römischen Reich weit verbreitet gewesen war. Mit anderen Vorzeichen und Veränderungen, aber doch an den alten Lichtgott angelehnt.
Alte Götter gab es so viele wie Sterne am Himmel. Nathaniel hätte sich außer kühler Betrachtung nicht weiter mit diesem Mithras beschäftigt, doch in dem Mythos über ihn fielen ihm die frappanten Ähnlichkeiten mit dem Christentum sofort ins Auge. Und sein scharfer Geist erkannte hier eine Möglichkeit. Ja, bei längerer Überlegung war dieser Kult sogar einzigartig für sein Vorhaben geeignet. Alter Wein in neuen Schläuchen, das könnte der gesuchte Weg sein. Vertrautes, Althergebrachtes, verbunden mit mystischen Ritualen, mit Aufstiegsmöglichkeiten nicht durch Vetternwirtschaft oder Korruption, sondern durch Gelehrsamkeit und Weihen, die zwar nicht jedermann, aber doch der Elite offenstehen würden. Einer geistigen, verbitterten Elite, die unter dem allgegenwärtigen Mehltau der Deutungshoheit der christlichen Kirche litt und sich verborgen halten musste. Diese Menschen, die es überall gab, galt es zu wecken
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