Schatten eines Gottes (German Edition)
Willst ihm wohl selber die Kutte lüften, Miststück!«
»Heilige Madonna! Ich kenne die Kerle. Fanatisch, asketisch und geizig.«
»Geizig?« Sibylla befreite sich mit einem kühnen Hüftschwung aus Lukrezias Griff. »Vielleicht mache ich es dem Süßen umsonst, wer weiß?«
»Billiges Luder!«, kreischte Lukrezia, während sie den gut aussehenden Mönch selbst anstarrte, als sei er der heilige Petrus persönlich. »Das verdirbt das Geschäft.«
»Ha, du bist ja nur neidisch. Zisterzienser! Was heißt das schon? Unter der Kutte ist er ein Mann wie jeder andere. Pass nur auf, wie ich seinen kleinen Mönch hervorlocke.«
Mit wogendem Busen und wackelndem Hinterteil stolzierte Sibylla auf ihn zu.
Emanuel, der ihrer jetzt erst gewahr wurde, taumelte zurück, als schieße eine giftige Viper auf ihn zu. Er schlug das Kreuz und murmelte: »Vade retro, Satanas!«
Das Wort Satanas wirkte. Sibylla blieb stehen und starrte dem Mönch nach, der hurtigen Schrittes und wehenden Gewandes enteilte. Lukrezia brach in ein spöttisches Gelächter aus.
»Der hatte Angst um seine Keuschheit«, rief Sibylla verächtlich. »Aber sein Blick, hast du diesen Blick gesehen? So leidenschaftlich.«
»Teufelspisse! Er war voller Hass. Niemals habe ich so einen hasserfüllten Blick gesehen. Dem armen Jungen hat man das Begehren nach weiblichem Fleisch wohl mit eisernen Ruten ausgetrieben.«
Emanuel beschleunigte seine Schritte, als müsse er einem Pestilenzhauch entfliehen. Er war entsetzt. Wie konnten sich in einer christlichen Stadt so viele liederliche Weiber in aller Öffentlichkeit herumtreiben? Weshalb wurden sie geduldet? Und weshalb schützte ihn nicht einmal sein Habit vor ihnen? Merkten die Stadtväter nicht, dass der große Feind ihre Stadt übernommen hatte, bewaffnet mit dem übelsten aller Triebe, der Unzucht?
Nun hatte er sich auch noch verlaufen. Er erspähte den Turm eines Stadttores und hoffte, es sei jenes, in dessen Nähe sich ihr Quartier befand. Aber er hatte sich geirrt. Schon wollte er einen Passanten nach dem Weg fragen, da erblickte er Octavien, der in seine Richtung ritt. Diesmal war Emanuel erleichtert, ihn zu sehen. »Heda, Templer! Wollt Ihr mich nicht mehr kennen?«
Octavien, der in Gedanken versunken war, schreckte hoch und erkannte den Mönch. Sofort strafften sich seine Gesichtszüge, und er machte sich ein wenig gerader im Sattel. »Ihr seid es! Habt Ihr denn schon genug Kirchen besichtigt?«
»Prächtige Kirchen, sie verehren auch sehr viele Heilige hier, den Judas Thaddäus, den Heiligen Quintin, den – nun ja.«
Emanuel unterbrach sich. »Es gibt allerdings auch viel Unheiliges. In dieser Stadt achten die Dirnen nicht einmal den geistlichen Rock.«
Octavien verkniff sich ein Grinsen. »Das ist tatsächlich dreist. Und wohin wollt Ihr jetzt?«
»Zurück in unser Quartier.«
»Das ist aber nicht der richtige Weg.« Octavien saß ab und führte sein Tier am Zügel. »Kommt, ich bringe Euch heim.«
***
Agnes hatte neue Strohwische verfertigt, die, ins Dachgestühl gehängt, das Haus vor Feuer bewahrten. Liebevoll verzierte sie einen jeden mit einem bunten Band. In einem Körbchen lagen unverzichtbare Heilsteine, die sie am Rheinufer gesammelt hatte, und in einem anderen, aus einem alten Unterrock geschnitten, Schnupftücher der heiligen Ursula. Bei Bedarf konnte sie jederzeit auch jene ihrer elftausend Jungfrauen herbeischaffen. Sie waren gegen allerlei Gebrechen gut, linderten aber auch Kummer jeder Art. Agnes musste nur erfahren, worunter ihr jeweiliger Kunde litt, und sie fand das passende Tuch, denn nicht jedes war gut für alles. Da musste sie schon höllisch aufpassen, dass sie nicht das gelb Eingefärbte gegen Warzen empfahl, wenn ein Mittel gegen Schweißfüße gewünscht wurde.
Jetzt wurde sie auf eine Menschenansammlung unter der großen Linde auf den Bleichwiesen aufmerksam. Dort scharten sich Leute aller Altersklassen um einen fahrenden Sänger, der auf seiner Laute spielte und ein fröhliches Lied sang. Da wäre Agnes auch gern dabei gewesen. Etwas Fröhlichkeit konnte sie gebrauchen. Was für ein Leben so ein Spielmann führte! Er kam sicher weit herum, sah die Welt, und war bei jedermann beliebt.
Dann war seine Vorstellung zu Ende. Agnes sah noch, wie die Menge sich langsam auflöste, aber sie achtete nicht mehr darauf. Neue Kunden waren an ihren Stand getreten, denen sie sich widmen musste. Ein junger Mann blieb bei ihr stehen. Sein langes Haar war im Nacken
Weitere Kostenlose Bücher