Schatten eines Gottes (German Edition)
Hardevust seiner Vorräte, um sie an verlaustes Bettelvolk zu verschenken, was über das gebotene Almosengeben weit hinausging. Vom guten Wein füllte er Krüge ab für das Gelichter. Gewiss, es hatte sich um einen schlechten Jahrgang gehandelt, aber man wäre ihn bei den Hafenschenken immer noch zu einem guten Preis los geworden. Das Gleiche galt für die Tuche aus Flandern mit den zu spät entdeckten Webfehlern. Die Tuche waren ja durchaus noch zu gebrauchen, haltbare Stoffe, aus denen so manche Handwerkerfrau noch ihr Festtagskleid schneidern konnte. Nun schmückte es wahrscheinlich Huren, fahrendes Volk, diente den schmutzigen Hintern von Abdeckern und Kloakenreinigern als Laken und vollgeschissenen Bettelkindern womöglich als Windeln. Aber Heinrich hatte an dem Jüngsten einen Narren gefressen, dem heiligen Hardevust, wie Jakob ihn spöttisch bei sich nannte.
Gewiss, die Mutter war tot, und drei Geschwisterchen waren bereits als Kleinkinder gestorben. Leid und Tod waren an dem stolzen Handelshaus nicht vorübergegangen, aber das war Schicksal und man hatte sich drein zu geben. Kein Grund, den Knaben zu verwöhnen und ihm zu erlauben, sich im Hurenviertel herumzutreiben und den Henker zu besuchen. Was sollte aus dem Jungen einmal werden?
An Nicholas’ Seele, hatte sein Vater Heinrich gemeint, perlen solche Versuchungen ab wie Weintropfen am Messkelch. Jakob stieß bei dieser Erinnerung ein verächtliches Knurren aus. Sein Bruder war ein stattlicher, ein erfolgreicher Mann, angesehen und respektiert bei den Stadtoberen, doch wenn es um Nicholas ging, leider blind wie ein Maulwurf und dumm wie eine Schildkröte. Er glaubte tatsächlich, Nicholas sei sein Freibrief ins Paradies. Seit er glaubte, einen kleinen Heiligen in der Familie zu haben, der später einmal gewaltig für sein Seelenheil und die Verkürzung des Fegefeuers sorgen konnte, förderte er die Marotte seines Sohnes, sich mehr um die Armen zu kümmern als um sein eigenes Fortkommen.
Heinrich hatte seinetwegen sogar beim Bischof angefragt, inwieweit das heiligmäßige Leben seines Sohnes ihm später angerechnet werde. Dieser hatte sich allerdings eher zurückhaltend geäußert. Dennoch war Heinrich Hardevust zuversichtlich, dass ein entsprechendes Geldgeschenk zu gegebener Zeit das Seinige dazu beitragen werde, seinem Sohn eine Anwartschaft auf die Aufnahme in die Schar der Heiligen zu sichern.
Aber Jakob, obwohl selbst ein Kaufmann, glaubte nicht, dass Gott sich bestechen ließ wie ein pfälzischer Weinhändler. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte Heinrich den Knaben zu den Zisterziensern in Altenberg zur Schule geschickt, die gewiss ein frommes Leben führten, aber keine kleinen Heiligen züchteten. Dort waltete ein mit Vernunft gepaarter Glaube, worunter Jakob Geschäftstüchtigkeit verstand. Diese erwarb man sich durch Gehorsam und Züchtigung. Flausen, gespeist aus heidnischen Schriften, würden die Mönche in dem Knabenhirn bestimmt nicht zulassen.
Seufzend rubbelte Jakob an dem Tintenfleck herum, der nun eine helle Stelle auf dem bräunlichen Pergament hinterließ. Leider war seine Frau Henriette ebenfalls von der Einzigartigkeit des Knaben überzeugt, an ihr hatte er, was Nicholas anging, keine Stütze. Ja, wenn er es überlegte, war er im ganzen Haus allein in seiner Abneigung gegen das blasse, sanfte Gesicht. Auch die Dienerschaft verehrte den jungen Herrn, den Engel von Köln, der mit leuchtenden Augen und sanftem Lächeln Almosen verteilte und für jeden, sei er bresthaft, aussätzig oder von Ungeziefer befallen, ein freundliches Wort hatte. Nur gut, dass er selbst das Sagen hatte und dafür sorgte, dass der Schaden im Hause Hardevust sich in Grenzen hielt.
***
Arik befand sich immer noch in den Händen des Torwächters. Pech gehabt. Bei dem Ritter war er an den Falschen geraten. Doch noch ärger war: In Nicholas’ Gefolge hatten sich vier seiner abtrünnigen Läufer aufgehalten.
»Hast Glück gehabt«, sagte der Torwächter zu ihm, »der kleine Hardevust wird sich bestimmt für dich einsetzen. Bis dahin kommst du in den Ziegenstall.«
Der Ziegenstall, das war ein Raum im Torflügel, wo vorübergehend kleine Gauner untergebracht wurden, bis die Angelegenheit geklärt war. Arik nickte abwesend, aber ihm machten ganz andere Dinge zu schaffen. Seine Leute hatten sich hinter den Engel geschart, warum bloß? Und sollte er das hinnehmen, wenn der Engel ihn dafür vor dem Hängen bewahrte? Er hasste diesen sanften Knaben, so wie er
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