Schatten eines Gottes (German Edition)
und ächzten, als sie murrend und schimpfend in die Stadt strömten, bestrebt, den besten Platz auf den Märkten zu ergattern. Von derben Flüchen begleitet, trieben sie ihre Ochsengespanne vorwärts, Wagenräder quietschten, Staub wallte auf, Peitschen knallten. Blökende Schafe irrten zwischen den Fuhrwerken umher, an den Mauern drängten sich furchtsam meckernd die Ziegen. Ihren Käfigen entflohene Hühner rannten wieder zum Stadttor hinaus, während flinke Knaben ihre Gänse- und Entenscharen geschickt durch das Gewimmel dirigierten.
Der rote Arik hockte auf einer halb eingestürzten Mauer. Unter seinem knielangen Kittel ragten dünne, schmutzige Beinchen hervor, die in schorfbedeckten Füßen endeten. Arik ließ sie in gleichmäßigem Rhythmus gegen das Mauerwerk pendeln. Scheinbar gelangweilt kratzte er sich den verfilzten Haarschopf, dessen karottenrote Farbe ihm seinen Namen eingetragen hatte. Aber seinen wasserhellen Augen unter den gesenkten Lidern entging in dem Treiben nichts von Wichtigkeit.
Unterhalb der Mauer kauerten, stets sprungbereit wie Feldhasen, zwei weitere Jungen, genauso abgerissen und verdreckt wie er selbst. Sorgfältig beobachteten sie ihre Umgebung und hielten besonders nach den hohen Helmen und Piken der städtischen Büttel Ausschau. Aber außer den Torwächtern, die damit beschäftigt waren, unerwünschte Landstreicher abzuweisen, war kein Bewaffneter zu erblicken.
Die Obst- und Gemüsekarren hatten inzwischen das Tor passiert, die Staubwolken hatten sich gelegt, und einige schwerbewaffnete Reiter zogen durch das Tor. Arik erkannte auf ihren Mänteln das Wappen des Erzbischofs, ein rotes Kreuz auf silbernem Grund. Aber nicht ihnen galt seine besondere Aufmerksamkeit. Zum wiederholten Male ließ er seine flinken Augen über die Menschenmenge gleiten. Er war beunruhigt. Von den elf Läufern, wie sich die Mitglieder seiner Bande nannten, waren heute nur Benno und Mattes erschienen, obwohl Arik sie alle zum Hahnentor befohlen hatte. Waren die übrigen neun alle einkassiert worden? Unwahrscheinlich. Verweigerten sie ihm den Gehorsam? Kaum. Alle in seinem Haufen wussten, wie er mit Abtrünnigen verfuhr. Neben einer gewaltigen Tracht Prügel waren sie so gut wie erledigt. In ganz Köln hätten sie kein kuhfladengroßes Fleckchen mehr gefunden, ihren nackten Hintern hinzusetzen, geschweige denn zu betteln oder zu stehlen. Hatten sie sich einem anderen Anführer angeschlossen? Unmöglich. Die Läufer hingen doch wie Hunde an ihm. Dem buckligen Bastian etwa? Die Brüder Benno und Mattes wussten von nichts. Arik würde sich um die Angelegenheit kümmern müssen – später. Doch jetzt galt sein Augenmerk einzig und allein einem möglichen Opfer, das er um die schwere Last eines wohlgefüllten Geldbeutels erleichtern konnte.
Plötzlich strafften sich seine Schultern, sein magerer Oberkörper spannte sich wie eine Sehne, während sich seine nackten Zehen in den Lücken des Mauerwerks festhakten. Inmitten einer schnatternden Pilgerschar, die Arik unbeachtet ließ, weil bei denen nichts zu holen war, hatte er einen Reiter erspäht; offensichtlich ein einzelner Reisender, der nur zufällig unter die Pilger geraten war. Das Pferd, das er ritt, war pechschwarz, das gepflegte Fell glänzte in der Morgensonne wie eine Speckschwarte. Er selbst saß kerzengerade im Sattel, den Kopf stolz erhoben, den Blick geradeaus gerichtet. Sein junges, bartloses Gesicht strahlte einen bemerkenswerten Dünkel aus, so als sei es ihm zuwider, die Atemluft gewöhnlicher Menschen teilen zu müssen.
Allein der silbergesäumte, mit zarten Mustern bestickte Rock aus feiner Wolle und die Stiefel aus weichem Leder waren ein Vermögen wert. Das Schwert in der reichlich mit Gold und Silber verzierten Scheide, so schätzte Arik, noch einmal doppelt so viel. Auf dem schulterlangen, schwarzen Haar saß eine mit Perlen bestickte Kappe, von dessen Erlös sich Arik monatelang hätte ernähren können. Gar nicht zu reden von der Geldkatze, die dieser Stutzer bestimmt am Gürtel trug. Arik glaubte, diese Sorte verwöhnter Simpel aus reichem Hause zu kennen. Abenteuerlustig, unbedarft, aufgeblasen und ahnungslos.
Ein geradezu ideales Opfer! Zu dumm, dachte Arik, dass er sich gerade heute allein auf die beiden Brüder stützen musste. Deshalb kam es nicht infrage, den Fremden in eine dunkle Gasse zu locken. Während die einen ihn ablenkten, die anderen sein Pferd scheu machten, hätte Arik ihn mit einem Stein oder Knüppel
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