Schatten eines Gottes (German Edition)
alle hasste, denen es besser ging als ihm. Die guten Taten waren in seinen Augen Berechnung und kamen sowieso nur anderen zugute. Doch wenn die gute Tat diesmal ihn selbst betraf, musste er die Sache vielleicht überdenken. Aber seine Leute würde er sich doch wiederholen. Wenn er nur erst wieder hier heraus war. Wahrscheinlich würde man ihm das Brandeisen nicht ersparen. Es sollte höllisch wehtun, hatte er gehört, aber wer das Brandmal trug, der war auch jemand, der stellte etwas dar. Wen das Brandeisen geadelt hatte, zu dem sah man auf, der konnte andere anführen. Vielleicht konnte er auf diese Weise doch noch Kapital aus der Sache schlagen.
***
Octavien stieg niemals in einer gewöhnlichen Herberge ab. Dort konnte es Ungeziefer geben und man musste die Gaststube mit irgendwelchem Gesindel teilen. Onkel Frederic, ein Bruder mütterlicherseits, würde nicht gerade begeistert sein über den unangemeldeten Besuch, aber er musste ihn aufnehmen, das gebot die Familienehre. Und die de Saint-Amands waren eine hoch angesehene Familie mit einem Stammbaum, der bis in biblische Zeiten hinein reichte. So jedenfalls hatte seine Mutter Sieglinde es ihm erzählt.
Sein Onkel Etienne war schließlich nicht irgendein Tempelritter, er war der Enkel eines der Ordensgründer. Und auch sein Vater hatte dem Orden angehört. Seit er in Outremer gefallen war, verwaltete Sieglinde ihr großes Gut bei Aachen allein. Dabei hatte sie Octavien in dem Bewusstsein erzogen, der Sahneschicht des Volkes anzugehören. Natürlich sollte auch er ein Ritter werden wie sein Vater, aber Octavien gelüstete es noch nicht nach dem disziplinierten Leben der Templer, deren Ritter zugleich Mönche waren mit allen Einschränkungen, denen diese Diener Gottes nun einmal unterworfen waren.
Jetzt war er hinausgezogen wie die Heldengestalt Parzival, um so etwas wie den Heiligen Gral zu suchen. Als Knabe hatte er diesen Ritterroman von Wolfram von Eschenbach verschlungen.
Der Brief eines längst verstorbenen Verwandten hatte ihm den Vorwand geliefert, sich der Obhut seiner Mutter zu entziehen. Sieglinde hatte nichts dagegen einzuwenden, ja sie unterstützte ihren Sohn bei seinem Vorhaben. Selbstverständlich sollte Octavien seine ganze Kraft dafür einsetzen, jene für das Heil der Christenheit so wertvolle Reliquie zu finden. Es verstand sich von selbst, dass es ein Saint-Amand sein würde, der dieses Kleinod wiederfand und im Triumph nach Hause brachte. An seinem Vorhandensein zweifelte sie nicht einen Augenblick. Was die Mönche festhielten, war niemals eitler Tand. Sie hatte ihm den Rat gegeben, unterwegs in Köln abzusteigen, um dort am weithin berühmten Altar der Heiligen Drei Könige um ein erfolgreiches Unternehmen zu bitten. Octavien als gehorsamer Sohn hatte es versprochen.
Da jeglicher Ritt über Land gewisse Gefahren barg, wollte er sich einer Pilgergruppe anschließen, aber die Pilgergestalten, die er bisher gesehen hatte, waren zerlumpt, gingen zu Fuß und schienen sich ausschließlich von Gottes Wort zu ernähren. Das war nicht der Dunstkreis, in dem er sich bewegte. Und hätte er gewusst, dass Heiligkeit und Schmutz so dicht beieinander wohnten, wäre er auch an Köln vorübergeritten.
Als er sich nach der Adresse seines Onkels erkundigte, sagte man ihm, er wohne in der Rheingasse. Wohnte dort nicht auch jener wohlerzogene Knabe Nicholas?
Bei seinem Quartier handelte es sich um ein breitbrüstiges Stadthaus mit Sandsteinsäulen am Tor und Buntglasscheiben in den Fenstern. Hier wohnte nicht der Plebs. Octavien stieg vom Pferd, nickte beifällig und dachte bei sich, es habe doch nichts geschadet, dass er gestern in der kleinen Kapelle am Wege um gutes Gelingen seiner Reise gebetet hatte, obwohl es darin nach Landbevölkerung gerochen hatte.
Wenn Octavien auch den Aberglauben einfacher Menschen verachtete, fand er nichts dabei, für sich selbst eine göttliche Fügung anzunehmen. Einem Saint-Amand widerfuhr nichts ohne Sinn. Da ihm kraft seiner Geburt ein höherer Daseinszweck gegeben war, besaß auch jede seiner Handlungen und Entscheidungen eine höhere Bedeutung als die gewöhnlicher Menschen.
***
Köln war voll. Voller Kirchen, voller Priester, Nonnen, Mönche und Pilger, voller Märkte mit keifenden Weibern, fluchenden Bauern und Garküchen, voller Bettler und Straßenkinder, voller enger Gassen, wimmelnd von Handwerkern, Händlern und Hausfrauen, Handkarren, Ochsenkarren, und Lastträgern, voller Schafe, Schweine, Hühner und Enten,
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