Schatten eines Gottes (German Edition)
Märtyrer ernährt. Für all das fromme Geschrei, das abgöttische Getue, die lächerlichen Trugbilder, denen sie alle nachrannten, empfand er nur Verachtung. Was die Kinder bewegte, waren in seinen Augen nichts als Irrlichter im Sumpf der Unwissenheit.
Emanuel saß am Rheinufer und starrte auf den Fluss. Am Ende konnte er zufrieden sein. Hatte er es nicht allen recht gemacht? Den Klöstern, dem Bischof und dem Heiligen Vater? Es war gelungen, die halb erloschene Fackel des Glaubens wieder zu entzünden, so wie der Papst es gewünscht hatte. Aber Emanuel war nicht zufrieden. Noch immer hockte er hier bei den Braunkutten. Jeden Morgen glaubte er, diesen Tag nun wirklich nicht mehr überstehen zu können. Wann erging endlich der Ruf an ihn, nach Altenberg zurückzukehren? Und dann aus Dankbarkeit für die geleisteten Dienste ein Posten in Rom? Vielleicht im Lateran an der Seite Seiner Heiligkeit?
Über seine Gedanken hatte Emanuel die Zeit vergessen. Der Himmel hatte sich inzwischen bleigrau gefärbt, und die Dämmerung legte sich wie ein zarter dunkler Schleier über das Wasser, das sich jetzt wie ein dunkler Abgrund zwischen den Ufern ausbreitete. Emanuel erhob sich, um den Heimweg anzutreten.
Es war schon dunkel, als er die Marzellenstraße erreichte. Die Brüder hatten sich bereits kniend auf dem nackten Lehmfußboden zur Komplet versammelt. Rasch, bevor Bruder Bernardo die Heilige Schrift aufschlagen konnte, gesellte sich Emanuel zu ihnen, fiel auf die Knie und ließ das Haupt tief auf die Brust sinken.
Das Amen verklang, die Komplet war beendet, und die Gewänder um ihn herum raschelten, als die Brüder sich mit steifen Gliedern erhoben. Emanuel machte flüchtig das Kreuzzeichen und suchte ohne Verzug seine Kammer auf. Dort entledigte er sich seines Habits, bettete sich mit seinem wollenen Unterkleid auf die harte Pritsche, zog die fadenscheinige Decke bis zum Kinn und schloss die Augen. Bevor er einschlief, gab er sich gern angenehmen Gedanken hin, und diese kreisten in der Regel um Rom, das er sich so herrlich vorstellte wie die Kinder sich das goldene Jerusalem. Bald hüllten ihn bunte Zukunftsbilder in einen watteweichen Kokon. Diesmal, womöglich durch die Fantasien der Kinder angeregt, sah er einen goldfunkelnden Strahlenkranz, in dessen Mitte sich der Stuhl Petri erhob, getragen von Engeln. Doch auf ihm saß nicht Papst Innozenz! Emanuel kniff die geschlossenen Augen noch stärker zusammen, denn das Bild konnte ihm nur von Satan selbst eingeflüstert worden sein. In dieser alten, ehrwürdigen Stadt Köln mit dem Sitz des Erzbischofs und unzähligen Kirchen und Heiligen schien Satan besonders mächtig zu sein. Wie war es sonst möglich, dass Emanuel sich selbst auf dem Stuhle Petri hatte sitzen sehen!
Da klopfte es an seine Kammertür. Er zuckte zusammen, als stünde Satanas bereits davor. Dann besann er sich, stieg aus dem Bett und öffnete die Tür. Draußen standen ein Bruder und ein Mann, den er nicht kannte, er trug die Farben des Erzbischofs. »Seine Exzellenz bittet Euch um eine Unterredung«, sagte der Mann.
»Jetzt, um diese Zeit?«, entfuhr es Emanuel.
Der Bote verzog keine Miene. »Seine Exzellenz befindet sich zu jeder Zeit im Dienste des Herrn, und ich nehme an, das gilt auch für Euch.«
»Ja, selbstverständlich. Ich bitte um Vergebung, ich hatte gerade einen schlechten Traum. Bruder Thomas, führe doch den Herrn bitte in unser Refektorium, während ich mich ankleide.«
Was will der Bischof von mir?,
überlegte Emanuel, während er hastig seinen Habit überstreifte und sich das Holzkreuz um den Hals hängte.
Hat er unsere kleine Unterredung doch nicht so gut verdaut, wie ich dachte?
Er machte sich auf einen handfesten Tadel gefasst, als er dem Boten durch die dunklen Straßen zum Bischofssitz folgte. Nach dem Ansturm der Kinder wirkten sie unwirklich leer.
Sein Begleiter führte ihn durch mehrere Korridore zum Arbeitszimmer des Bischofs. Dort klopfte er kurz an, öffnete die Tür und sagte: »Exzellenz! Bruder Emanuel ist hier.«
»Nur herein mit ihm!«, antwortete eine barsche Stimme.
Emanuel trat ein. In dem Zimmer, dessen Wände kostbare Wandteppiche und Bücherregale schmückten, roch es nach Holz und Leder, dieser Geruch war Emanuel aus der Bibliothek in Altenberg vertraut. Es war der Geruch des Wissens, der Weisheit und der Erkenntnis. Vereint mit einem unbeugsamen Willen konnten einen diese Dinge auf den Gipfel tragen, so weit nach oben, dass man der Menschheit entrückt
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