Schatten eines Gottes (German Edition)
war und Gott schauen konnte. Den wahrhaftigen Gott, wie er Päpsten, Kardinälen und Bischöfen erschien, und nicht den Popanz, den man Weibern und Kindern und den einfältigen Massen auftischte.
Behutsam schloss er die Tür hinter sich. Der hagere, leicht gebeugte Bischof saß in einem bequemen Sessel mit hoher Lehne, die knochigen Hände im Schoß gefaltet. Heute wirkte er nicht so erschöpft wie bei ihrem letzten Zusammentreffen, seine Haut hatte eine frischere Farbe, die Augen waren trotz der späten Stunde hellwach und blickten scharf. Emanuel wollte vor dem Bischof niederknien, um den Ring zu küssen, doch von Hengebach winkte ab. »Sparen wir uns das. Da, setzt Euch!« Er wies mit einer kaum merklichen Drehung des Kopfes auf einen abgewetzten Polsterstuhl, der wohl schon vielen Besuchern als Sitzmöbel gedient hatte.
Ich kann ihn heute nicht einschätzen,
dachte Emanuel, während er der Aufforderung nachkam.
Er scheint mir kämpferischer, aber auch wie von einer Bürde befreit.
Mit Bedacht ordnete er die Falten seines Habits und heftete seine Blicke auf das silberne Kreuz, das der Bischof auf der Brust trug. Auf diese Weise musste er ihm nicht in die Augen sehen, täuschte aber auch keine falsche Demut vor. Wenn ihn eine Rüge erwartete, wollte er wenigstens einen guten Eindruck machen.
»Ihr habt mich angelogen!«, eröffnete der Bischof das Gespräch.
Emanuel zuckte innerlich zusammen. Gelogen? Nein! Er war eher zu direkt gewesen, hatte die Wahrheit allzu brutal geschildert, aber gelogen? Auf diesen Vorwurf war er nicht vorbereitet.
»Ich – verstehe nicht …«
»Ihr seid gar kein Franziskaner. Ihr seid Zisterzienser und kommt aus Altenberg.«
Emanuel atmete auf. Beinahe hätte er vor Erleichterung gelächelt. »Exzellenz, ich habe niemals behauptet, Franziskaner zu sein, ich habe lediglich erwähnt, dass ich ihnen helfe.«
»Schon gut. Ich bin froh, dass Ihr keiner von den Bettelbrüdern seid.«
»Es sind brave, gutherzige Männer, Exzellenz«, fühlte sich Emanuel verpflichtet zu erwidern.
»Der Teufel tarnt sich gern als Engel. Auch die Katharer predigen Besitzlosigkeit, Strick und härenes Gewand, eben alles, was auf das einfache Volk Eindruck macht. Wie kann einer, der sein Bett in der Gosse aufschlägt, der Kirche dienen?«
»Wen meint Ihr damit?«
Der Bischof machte eine fahrige Handbewegung. »Nun, diesen Franziskus.«
»Dieser Franziskus bedient die Sehnsucht der Menschen nach dem einfachen urchristlichen Leben. Wenn er fest an der Seite der Kirche steht, hat sie in ihm einen Kämpfer und Prediger, der die Kritik der Armen und Benachteiligten verstummen und die trügerischen Verheißungen der Katharer wie Luftblasen zerplatzen lässt.«
»Ja, gewiss.«
Der Bischof seufzte. »Der Papst hat den Orden übrigens inzwischen anerkannt. – Nun, er weiß natürlich, was er tut.«
»Natürlich«, fügte Emanuel lahm hinzu, der nicht wusste, worauf der Bischof mit diesem Plauderstündchen hinauswollte.
Der Bischof legte seine Hände auf die Tischplatte und beugte sich ein wenig vor. »Nun zu Euch, Bruder Emanuel. Mir sind Neuigkeiten zu Ohren gekommen, die mich zwingen, gewisse Maßnahmen zu ergreifen.«
Neuigkeiten über meine Person?,
dachte Emanuel bestürzt,
was kann es da geben? Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Sollte mich jemand verleumdet haben?
»Ich brauche Eure Hilfe in einer Sache, die mir sehr am Herzen liegt«, fuhr der Bischof fort. »Ein guter Freund, dessen Meinung ich hoch schätze, hat sich für Euch verwendet. Ich habe Lobenswertes über Euch gehört. Ihr sollt einen scharfen Verstand besitzen und der Kirche unbedingt ergeben sein.«
Abt Hermann!,
schoss es Emanuel durch den Kopf.
Also doch kein Tadel, ein Lob! Ein unerwartetes Lob.
Er zog es vor, darauf nicht zu antworten. Bescheiden senkte er den Blick, aber sein Herz schlug schneller. Sollte sich Rom rascher erfüllen, als er geglaubt hatte?
»Den Franziskanern habt Ihr lange genug gedient. Sie werden ohne Euch auskommen müssen.«
Was für ein Lerchengesang in seinen Ohren.
»Ihr sollt eines der bestgehüteten Geheimnisse der Christenheit lüften.«
»Es gibt ein christliches Geheimnis, das die Kirche noch nicht enträtselt hat?«, fragte Emanuel, aufrichtig erstaunt.
Von Hengebachs Finger glitten abwesend über das Kreuz auf seiner Brust. »Dem Heiligen Vater sind gewisse Dinge zu Ohren gekommen. Ist dir die ›Arme Ritterschaft Christi vom salomonischen Tempel‹ ein Begriff?«, fragte er,
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