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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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gibt, die weder im Koran noch in den Hadithen erwähnt werden, so dass man bei ihrer Beurteilung seine Zuflucht zu Analogieschlüssen nehmen muss, wozu ein großes Wissen, ein scharfes Denken und eine überzeugende Beredsamkeit gehören. Wer Fikh beherrscht, nennt sich Fakih und kann die einflußreichsten Stellen im Staat bekleiden. Doch wo waren die Mediziner? Ich ging von Gruppe zu Gruppe und fand sie nicht. Fragen aber konnte ich nicht, ohne zu stören. So blieb ich schließlich stehen, lehnte mich an eine Wand, spürte ihre wohltuende Kühle, meine Blicke wanderten an den bunten Kacheln entlang, die sie in endlosen, sich nie wiederholenden Mustern zierten, und meine Ohren nahmen die Worte nur auf wie eine schöne, von fern her tönende Melodie. Ein bunter Falter schaukelte herein und setzte sich auf meine Schulter – auch er ein Bote des Lebens. Ich stand wie erstarrt, um ihn nicht zu verscheuchen.
    Da fühlte ich plötzlich eine leichte Berührung, wandte den Kopf, sah in zwei dunkle Augen und auf ein schmales, fein geschnittenes, noch bartloses Gesicht. Einer der Studenten stand vor mir. »Du kommst von weit her«, sprach er mich an, »und hast dich wohl noch nicht entschlossen, welchen Lehrer du wählen sollst. Der berühmteste hier in Buchara ist Hammad Ben Omar, der lange Zeit in Bagdad gelehrt hat, bis der Wille Allahs ihn zu uns führte. Mein Vater hat mich sogar von Samarkand zu ihm geschickt. Er ist der Ansicht, dass Ben Omar den Unterschied zwischen Fikh und Ilm viel genauer erläutert, viel mehr Unterlagen dafür gesammelt hat und viel besser die Grundsätze erklärt, die bei Analogieschlüssen anzuwenden sind als Abu Musa, der in Samarkand die Rechtswissenschaften unterrichtet. Und mein Vater kann das beurteilen, er ist der Richter der Richter, der Kasi von Samarkand. Ich bin Rachman Ben Miskin.« Der Student hatte in großem Eifer gesprochen, fast ohne Pause. Dann hielt er plötzlich inne, und ich sah, wie ihm die Röte in die Wangen stieg. Schämte er sich seiner Redseligkeit?
    Oh, wie er mir gefiel! In seinem Selbstbewusstsein wie in seiner Befangenheit. Nicht viel älter konnte er sein, als ich vor unserer Flucht von Samarkand gewesen war, und hätte ich damals mich nicht auch so ähnlich aufgeführt? Um ihm mein Wohlwollen zu zeigen, ließ ich nun selber meiner Zunge freien Lauf, schilderte ihm die Wüste mit ihren Schrecken, sagte, wie glücklich ich sei, sie hinter mir gelassen zu haben, dass ich aber nicht in Buchara bleiben, sondern nach Samarkand weitergehen wolle, weil mich nicht die Rechtswissenschaft anziehe, sondern die Heilkunde, und dort doch Mulana Nafiz ...
    »Er lebt nicht mehr«, fiel mir Rachman ins Wort. Und, als ich bestürzt schwieg: »Ich dachte, du wärest ein Derwisch. Bist du nicht mit Ben Haschim gekommen?« »Freilich. Und trotzdem kein Derwisch, sondern ein Arzt, der eine Zeit lang auf dem sufischen Pfade gewandelt ist.« »Wenn du nach Samarkand willst, können wir zusammen reisen. Mein Vater hat einen Boten nach mir geschickt. Meine Schwester ist zu Besuch gekommen. Sie ist in Herath mit einem Fakih verheiratet, und ich habe sie seit sieben Jahren nicht gesehen. Da kann ich ja wohl den Unterricht eine Woche vor Ferienbeginn verlassen.«
    »Du hängst wohl sehr an deiner Schwester?« »Das kannst du mir glauben! Du solltest sie kennen! Wie lustig Leila ist – immer mit einem Scherzwort auf den Lippen. Und wie schön sie ist! Aber« – und wieder diese Blutwelle, die ihm ins Gesicht stieg – »das hätte ich wohl lieber nicht sagen sollen.«
    Taktvoll überging ich seine Verlegenheit, fragte nur: »Wann brichst du auf?«
    »Morgen mit dem frühesten. Kannst du reiten?« Ich musste über seine Frage lachen. »Nicht ohne Pferd«, antwortete ich. Da lachte auch er. »Nun, das wird zu beschaffen sein.«
    Jetzt stand mir das Schwerste bevor, etwas, was ich von Woche zu Woche, von Tag zu Tag hinausgeschoben hatte. Ich musste den Brüdern sagen, dass ich mich von ihnen trennen, aus ihrem Kreis ausscheiden wollte. Es war mir ja schon klar gewesen, als ich mich den Derwischen anschloss, dass ich mich nicht für immer an sie binden wollte, aber wie sehr mich der Abschied schmerzen würde, hätte ich mir damals nicht vorstellen können. Was gab ich auf? Die Gemeinschaft mit Menschen, die alles mit mir geteilt hatten – Nahrung und Nachtlager, Not und Gefahr. Und was handelte ich dafür ein? Im besten Falle die Erfüllung eines Traumes, der mich seit meiner Jünglingszeit

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