Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
umgaukelte. Wie aber, wenn diese Erfüllung nicht hielt, was der Traum versprach? Wenn sie keine Befriedigung brachte, sondern jene Leere, die beweist, dass man einem Irrlicht nachgejagt ist?
Doch die Gemeinschaft, die ich glaubte gefunden zu haben – wer bürgte mir dafür, dass sie kein Trugbild war? Etwa der Einäugige, der sich wieder bei uns eingefunden hatte? Was brauchte ich noch zu schwanken? Hatte mir nicht der heutige Tag eine deutliche Weisung gebracht? Erst die Begegnung mit Jakub und nun die mit Rachman? Also musste das Wort »Trennung« nun eben fallen – der Abschied kurz sein! Als ich den Han betrat, fand ich den Scheich dort allein. Er saß in einer Ecke und stützte den Kopf aufs Knie wie in tiefer Versenkung. Gut, dachte ich, dass die andern nicht bei ihm sind, ihm kann ich mich am leichtesten verständlich machen. Und ich setzte mich neben ihn. Ich wollte ihn nicht aus seinem Sinnen aufstören. Wollte geduldig warten, bis er mich anhören konnte.
Doch schon nach wenigen Augenblicken hob er den Kopf, und als ich in sein Gesicht sah, wusste ich, dass etwas Unheilvolles geschehen war. Und das Wort verdorrte mir auf den Lippen.
Auch Ben Haschini blieb stumm.
Nein, dieses Schweigen war nicht ein Dhikr, auf dessen Flügeln sich seine Seele erhob und die meine mit sich riss. Dieses Schweigen war ein Berg, der auf uns lastete, und wenn wir es nicht brachen, musste uns sein Gewicht erdrücken. »Haben sie wieder gestritten?« fragte ich. »Sind sie uneinig über die Tarika, können sie die nächste Stufe des sufischen Pfades nicht gemeinsam erklimmen?«
»Wenn es nur das wäre!« Er stöhnte dumpf. Und dann schrie er: »Verraten haben sie den sufischen Pfad, ganz und gar verlassen! Sie schänden das Grab unseres Heiligen, machen Geschäfte mit seinen Gebeinen, sprechen fromme Worte mit dem Mund, bewegen unlautere Gedanken in ihrer Seele. Fliehen müssen wir von hier – fliehen, so weit uns die Füße tragen —, aber meine Söhne erkennen nicht die Gefahr, die ihnen droht, lassen sich blenden, wollen mir nicht folgen.
Du bist der einzige, der mich verstehen kann. Gut, o wie gut, dass du gekommen bist.«
Ich griff nach seiner Rechten und umschloss sie mit beiden Händen. »Erzähl mir alles«, bat ich.
Und ich erfuhr, dass sich die Derwische des Naqschbandi-Ordens tief hatten verstricken lassen in die Händel dieser Welt. Denn Ulug Beg, der Herrscher dieses Landes, hatte sich Feinde gemacht vor allem unter den reichen Kaufleuten, von deren Handel er Steuern eintrieb, die sie nur widerwillig zahlten. Und sie hatten die Derwische gegen ihn aufgestachelt.
Nun hieß es: Was ist das für ein Fürst, der ständig gegen die Gebote Gottes verstößt, Wein trinkt, sich mit Dichtern und Sängern umgibt? Sein Vater Schach Ruch – ja, der ist ein gläubiger Herrscher! Selbst den Prinzen seines Hauses schüttet er eigenhändig den Wein aus, da kein anderer sich getraut, in deren Palästen die Keller 2u untersuchen. Sänger und Flötenspieler hat er vom Hof verbannt, und am Freitag verliest er in der Moschee das Kanzelgebet wie einer der ersten Kalifen. Aber dieser Sohn!
Kein Wunder, dass die Ösbegen unruhig werden, Beutezüge unternehmen, raubend und mordend bis ins Fruchtland vordringen! Das ist Allahs Strafe für Ulug Begs Verworfenheit! Bei seinem Großvater Timur hätten sie das niemals gewagt!
Ja, das war ein Fürst! Der verstand es, das Schwert zu führen! Alle Ungläubigen zitterten, wenn sie bloß seinen Namen hörten. Aber was versteht Ulug Beg, der seit Jahren keinen Feldzug mehr selbst geleitet hat, nur, wenn man ihm einen auf zwang, seine Heerführer schickte, die ja dann auch oft genug geschlagen wurden – was versteht der schon, außer den Becher zu leeren, sich Gedichte vorsingen zu lassen, Reiher zu jagen, bei seinen Frauen zu schlafen und in die Sterne zu sehn? Hat er nicht zu dem Zweck gar ein Gebäude errichten lassen, schändlich wie der babylonische Turm? Unterfängt er sich nicht, von seiner Sternwarte aus die Schleier zu zerreißen, die Allah um seine Geheimnisse gehüllt hat? Und die Gelehrten, die er aus aller Welt heranzieht, was tun sie? Statt die Schrift auszudeuten, in der der Allmächtige seinen Willen so unmissverständlich kundgetan hat, unterstützen sie noch diesen Vermessenen in seiner Überheblichkeit. Nun, gut genug werden sie es sich ja auch bezählen lassen!
Aber es hat seine Zeit – alles hat seine Zeit. War nicht seines Vaters Krankheit vor einem Jahr schon
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