Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Prüfung. Dir gebührt Preis für das, was du tust, und dir gebührt Preis für das, was du willst.«
Wir schwiegen lange. Endlich sagte er: »Willst du mir noch einen Gefallen tun? Ich kenne hier niemanden und will mich auch weiter mit niemandem einlassen. Doch du hast schon einen Freund gefunden. Frage ihn nach dem Weg nach Tus. Dem direkten Weg. Morgen mit dem frühesten will ich das Land verlassen.« »Allein?«
»Da du mich nicht begleitest, allein.«
»Und auf dem Weg, auf dem du den Ösbegen in die Arme läufst?«
»Hältst du mich für weniger mutig als den Jakub? Und wenn ich ihnen in die Hände fiele – wäre das nicht ein Zeichen, dass Allah einen wie mich gerade bei diesen Räubern braucht?«
Ich ging zu Rachman. Als ich mein Anliegen vorbrachte, sah er mich erschrocken an. »Du willst nicht mit mir kommen?« fragte er, und das Bedauern, das in seiner Stimme schwang, rührte mich.
»Es handelt sich nicht um mich«, antwortete ich. »Ein Freund von mir will morgen aufbrechen.« Da leuchtete sein Gesicht auf. »Komm«, sagte er, »ich kenne hier jemanden, der diesen Weg schon mehr als ein dutzendmal gegangen ist. Er wird ihn dir aufzeichnen.« Wir fanden den Mann nicht gleich, und es wurde später Abend, bis ich in den Derwisch-Han zurückkam. Ben Haschim hatte sein Lager inmitten der Gefährten aufgegeben und sich in einen andern Raum gelegt. Es dauerte eine Weile, ehe ich ihn entdeckte.
»Ich habe eine Zeichnung. Wenn wir ein Licht hätten, könnte ich sie dir erklären.«
»Ist nicht notwendig. Dafür ist morgen noch Zeit. Komm schlafen.«
Neben ihm war ein Strohsack frei. Darauf bettete ich mich. Es dauerte nur eine kurze Weile, dann hörte ich an Ben Haschims friedlichen Atemzügen, dass er eingeschlafen war. Ja, er konnte schlafen. Nach allem, was ihm widerfahren war, schlafen. Tief und fest wie ein Kind. Ich jedoch – wie hätte ich Ruhe finden können vor den Gedanken und Gefühlen, den Fragen, Zweifeln und Unschlüssigkeiten, die mich heimsuchten in jener Nacht? Ben Haschim. Gab es auf der Welt noch irgendwo einen Menschen, der so in meinem Inneren zu lesen verstand wie er? Plaudern kann man mit allen, reden mit vielen – aber schweigen? Mit wem kann man schweigen, ohne etwas zu verschweigen? Und nun sollte ich mich von ihm trennen? Ihn einer Gefahr entgegengehen lassen, ohne an seiner Seite zu bleiben und ihm beizustehen?
Was hatte ich gehört in jener ersten Stunde des Schweigens, die ich mit den Derwischen verbracht hatte? Hilf ihnen, dass sie mich auf ihrem Weg finden, wie du mich auf dem deinen gefunden hast! Und wer war diesem Ziel näher als Ben Haschim? Lag es nun nicht an mir, auch noch das letzte Tor aufzustoßen, ihm alles von mir zu erzählen und Christus zu bekennen? Diese Vorstellung erregte einen Sturm in meinem Inneren, der nicht zu beschreiben ist. Denn all die Bilder, die seit Monaten schon vor meiner Seele standen und meinen Wünschen Richtung und Ziel gewiesen hatten, ließen sich auch nicht widerstandslos verdrängen, und das Hin und Her auf der Walstatt des Herzens bewirkte jene qualvolle Müdigkeit, die den Schlaf nicht herbeiholt, sondern verscheucht.
Bis dann plötzlich die Entscheidung fiel. Sich vor jene Bilder ein Nebelschleier niedersenkte, hinter dem sie verschwanden: Die azurenen Kuppeln von Samarkand wurden farblos, die Leuchtschrift am Himmel erlosch, Rachmans Jünglingsgesicht verblasste, sein zutrauliches Lachen verklang. Und ich wusste, wohin ich am nächsten Morgen meine Schritte lenken würde. Da erschien, wie zur Bekräftigung meines Entschlusses, der erste Lichtschein am Himmel, und ich schlief endlich ein.
Als ich erwachte, war Ben Haschims Lager leer. Er wird in die Moschee gegangen sein, sagte ich mir, um das Morgengebet zu verrichten. Doch war mir nicht wohl bei diesem Gedanken, denn – hätte er mich dazu nicht wecken müssen? Ich griff unter mein Kissen, wo die Wegkarte lag, die ich ihm erläutern wollte, aber ich zog ein anderes Papier hervor. Ein Papier, worauf stand:
»Ich bin ohne Abschied von dir gegangen, weil du nicht meinen Weg teilen, sondern den deinen finden sollst. Ich bin von dir gegangen, weil ich nicht meine Last auf deine Schultern abwälzen will – sie würde mir dann zu schwer. Ich bin von dir gegangen, weil die Gefahr besteht, dass jeder von uns im andern sein Genüge fände, und das würde uns von Allah, und damit auch voneinander für immer trennen. Ich bleibe bei dir, so wie du bei mir bleibst, wenn wir in ihm
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