Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Obersten Scheichs begegnen würdest, und blies ihm ein, dir ein solches Ansinnen zu stellen. Und die Gefährten – zu feige waren sie, sich dem Mächtigen entgegenzustellen. Aber du, Ben Haschim – konntest du dich nicht selbst verteidigen?«
»Sprich nicht so von den Brüdern, Dschirdschis. Sie haben nicht begriffen – konnten nicht begreifen. Sind zu bedauern, nicht zu beschuldigen.
Und mich verteidigen? Oh, gewiss konnte ich das. Mir kam ein Lied Mewlana Dschalals in den Sinn, dieses Gottbegnadeten, dessen Gedicht ich auswendig lernte, als ich jung war, und das nicht wenig dazu beigetragen hat, dass ich wurde, was ich bin. Und ich fand die Kraft es zu sagen:
Die Liebe rief vom Himmelstor:
Wer ist, der schaut zu Gott empor?
Wir sind, die schaun zu Gott empor,
rief zu der Lieb' ein Priesterchor.
Die Liebe rief: Wie könnt ihr schaun,
vor eurem Antlitz hängt ein Flor,
ein Flor, gewebt aus Gier und Hass,
durch den das Licht den Schein verlor.
Vor eurem trüben Blicke nimmt
die Sonne Wolkenschleier vor.
Die Gnade, die auf Wolken sitzt,
schließt eurem dumpfen Ruf ihr Ohr,
und die Erhörung steiget nicht
herab, die eu'r Gebet beschwor.
O tut, eh ihr zum Himmel schaut,
euch Erdendunkels ab zuvor.
Statt Gier und Hass nehmt Lieb' ins Herz
und schaut zur Gottheit dann empor!
»Und was sagte Muhammad Parsa?«
»Was er sagte? Er stieß mich aus dem Orden.«
Ach, es ist das gleiche, immer und überall. Dieser Kampf, den die Heiligen aller Religionen gegen die Verfälscher aller Offenbarungen kämpfen. Oh, wie stellen sie sich fromm, die Heuchler, während sie das heilige Feuer dazu benützen, ihre Suppe daran zu kochen, die dann schließlich überläuft und es verlöscht.
»Komm mit mir, Ben Haschim. Komm nach Samarkand. Rachman Ben Miskin, der Sohn des Richters der Richter des Landes, hat mich eingeladen, mich ihm anzuschließen. Es wird sich auch für dich noch ein Pferd finden lassen. Und unter dem Schutz Ulug Begs bist du sicher.« »Auch sicher vor mir selbst, Dschirdschis? Sicher davor, dass mich der Zorn über die Abtrünnigkeit dieser Derwische hier nicht bitter macht? Und wenn ich mich schließlich verstricken ließe in den Kampf gegen sie und mich auf die Seite der weltlichen Machthaber schlüge, wäre das nicht mein Tod? Nicht mein leiblicher – du weißt, mein Sohn, dass ich den nicht fürchte – aber mein geistlicher. Denn die Machthaber dieser Welt gehen um mit Hass und Gewalt, und keiner von ihnen hält sich davon fern – wer aber in der Liebe lebt, darf nicht das Leid dieser Welt vergrößern, nein, er muss es überwinden, indem er es auf sich nimmt.« »Bist du ein Christ, Ben Haschim?« entfuhr es mir. Er schrak zusammen. »Ein Christ – wieso?« »Nun, nichts anderes hat Isa Ben Maryam, den seine Anhänger Christus nennen, getan, als er sich kreuzigen ließ.« »Davon weiß ich nichts. Im Koran steht, er sei gar nicht gekreuzigt, sondern von Allah in den Himmel gerückt und an seiner Stelle nur eine Gestalt ans Kreuz geheftet worden. Aber al-Haladsch, der heiligste unter den Sufis, der ist durch alle Tode, die Menschen über Menschen verhängen können, gegangen. Kennst du das Gebet, das er vor seiner Hinrichtung sprach? Nein? So höre es und präge es dir ein. Es wird dir ein Stern sein, der in jede Finsternis leuchtet: Ich bin im Begriff zu sterben, bin schon so gut wie getötet, gekreuzigt und verbrannt, und meine verwehten Aschenteile sind vom Winde davongetragen und vom Strome fortgespült. Doch ein Weihrauchkörnchen von der verklärten Gestalt meiner Offenbarungen ist bedeutender als die höchsten Berge.
O Allah, du bist es, der sich von jeder Richtung offenbart und doch nach keiner Richtung gelegen ist. Bei der Wahrheit meiner Versicherung über deine Wahrheit: Ich bitte dich, o Herr schenke mir die Dankbarkeit für diese Wohltat, die du mir erwiesen hast, dass du mir enthülltest, was du vor den Blicken der andern verbargst, nämlich den Auf gang des Lichtes deines erhabenen Antlitzes, und dass du mir erlaubtest, was du den andern verwehrtest, nämlich in die Verborgenheit deines Innersten zu schauen! Hier sind deine Diener, die sich versammelt haben, um mich zu töten aus Eifer für deine Religion und im Streben nach dir. Verzeih ihnen und sei ihnen gnädig. Denn wenn du ihnen den dich verhüllenden Schleier weggezogen hättest wie mir, so würden sie das nicht mit mir tun, und wenn du mir dasselbe verdeckt hättest wie ihnen, wäre ich jetzt nicht in dieser
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