Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
eine Mahnung des Himmels? Denn wenn Schach Ruch stirbt, wer sagt, dass sich sein Sohn, der ja nur sein Statthalter in Samarkand ist, noch wird behaupten können? Gibt es nicht andere Thronanwärter genug – wenn auch nicht Söhne Schach Ruchs, so dessen Enkel – die tüchtiger und frömmer sind als Ulug Beg?
Ben Haschim hatte in einem Zuge gesprochen, mit einer Leidenschaft, die ihn nicht zum Atemholen kommen ließ. Nun hielt er inne, und ich warf ein: »Timur? Und dessen tausendfältige Verstöße gegen das Glaubensgesetz? Seine Gelage, seine Grausamkeiten – stören die sie nicht? Hat er denn nur gegen Ungläubige Kriege geführt? War Bajazid etwa ein Christ oder ein Heide?«
»Ach, Dschirdschis, daran kannst du ja eben ihre ganze Heuchelei erkennen! Es geht ihnen gar nicht um die Schariat, sondern nur um den eigenen Vorteil. Herrschen wollen sie über den Herrscher, bestimmen, was er tun darf, was er lassen muss. Und weil Ulug Beg sich das nicht von ihnen vorschreiben lassen will, weil er sich ihrem Einfluss entzieht ...
Von Ort zu Ort gehen sie, wiegeln die Leute auf: die Frömmler gegen die Gelehrten, die Söhne gegen die Väter, die Vettern und Brüder gegeneinander. Und auch uns wollen sie für dieses Spiel gewinnen. Darum hat Muhammad Parsa mich rufen lassen. Von ihm habe ich dies alles.« »Und was hast du erwidert?« unterbrach ich ihn, ganz gegen die Gepflogenheiten, die sonst unter uns herrschten. Meine Spannung war zu groß.
»Ich sagte: Außer den vier ersten Nachfolgern unseres Propheten (gepriesen sei er!) hat es noch keinen recht geleiteten Herrscher wieder gegeben, und wenn Ulug Beg Trinkgelage veranstaltet und einem unzüchtigen Leben an seinem Hof Vorschub leistet, wird er das vor Allah zu verantworten haben. Zum Richter über seinen Herrn aber ist kein Moslem gesetzt. Wenn von ihm etwas Unrechtes verlangt wird, muss er Widerstand leisten. Sollte er den mit dem Tode bezahlen, wird er als Märtyrer ins Paradies eingehn. Ansonsten muss er sich der Ordnung fügen, und Steuern für Handelsgüter zu zahlen ist nichts Unrechtes. Eure Ansicht aber, dass Ulug Begs Bemühungen, die Bahnen der Gestirne zu beobachten und auch darin Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu deuten, eine Sünde sei, kann ich nicht teilen. Der Allmächtige offenbart sich, wem er will und wo es ihm gefällt. Ich will mich gerne mit dem Licht begnügen, das er in meinem Innern entzündet hat, wenn aber einer die große Leuchtschrift zu entziffern unternimmt, die der Schöpfer des Alls am Himmel erstrahlen lässt – steht nicht geschrieben in der Sure ›Das Vieh‹: ›Allah ist es, der für euch die Sterne gemacht hat, dass ihr von ihnen geleitet werdet in den Finsternissen zu Lande und auf dem Meer!‹? Und wie könnten die Menschen die Sterne zu ihren Wegweisern machen, wenn sie die Bahnen der Gestirne nicht beobachten dürften? Darum sage ich dir: Nicht darauf kommt es an, woher man Allahs Willen abliest, sondern, dass man ihn richtig liest!« »Und Muhammad Parsa – was erwiderte er?« »Ach, was konnte er schon erwidern, wenn er seinen Irrtum nicht eingestehen wollte? Er hat mich einen Undankbaren gescholten, der die Ehre des Propheten mit Füßen tritt, hat gesagt, wer dem Koran andere Offenbarungsquellen gleichsetze, sei nicht besser als jener, der dem All-Einigen andere Götter zur Seite stelle, und wer sich gegen die Schariat vergehe, werde durch die Schariat seinen verdienten Tod finden. ›Und das gilt dir ebenso gut wie ihm, unserm Herrscher, diesem Glaubensverderber! Denn Allah ist groß, und ungestraft lässt er seiner nicht spotten!‹« »Und deine Söhne? Sind sie dir nicht beigesprungen? Hat keiner deine Liebe, deine Hingabe an Allah bezeugt?« »Keiner. Denn als Anas den Mund auftat, fuhr Jakub ihn an: ›Schweig! Hast du nicht selbst gehört, was er uns lehrte? Nicht von der Furcht vor Höllenstrafen, nicht von der Sehnsucht nach Paradieseswonnen solle der Sufi sich auf seinem Pfade lenken lassen, sondern allein von der Liebe, die er zu Allah empfinde und durch die er mit Allah eins werde!‹ Und als Muhammad Parsa das hörte, geriet er außer sich und schrie: ›Du bist ein Zindig! Bist ein Kafir! Ja, ich sehe das Zeichen des Dadschdschal auf deiner Stirn! Verflucht seist du in Ewigkeit. In der Dchahannam soll dein Platz sein, die Feuer der Hölle sollen über dir zusammenschlagen!‹«
»Also hat Jakub diese ganze Sache angezettelt. Denn da er dich kannte, musste er wissen, wie du der Zumutung dieses
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