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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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werde der Ildikó eine schöne Mitgift aussetzen, und das Herz der Tante wird sich uns zuwenden, du wirst es sehen.«
    »Hast du denn wirklich noch so viel Geld, Vater?«
    »Ich habe den Beutel Goldes, den mir Ulug Beg gab. Dazu die beiden Araberhengste, die wir mitgebracht haben. Ich werde eine Pferdezucht beginnen, wie man sie hierzulande noch nicht sah.«
    Er hielt inne und ließ seine Blicke schweifen. Wahrscheinlich sah er im Geiste bereits die Füllen, die unsere Hengste mit den hiesigen Stuten zeugen würden, sich auf den Wiesen am Flussufer tummeln. Doch auch meine Gedanken schwebten in die Ferne, und unvermittelt fragte ich:
    »Wo hat eigentlich der Großvater seine Bibliothek?« Diese Frage muss meinen Vater getroffen haben wie einen Hieb. In sein Gesicht sprang die Röte, seine Augen funkelten, und in seine Stimme kam ein ganz fremder Ton.
    »Die Bibliothek? Ja, meinst du, ein Herr hierzulande wüsste seine Zeit nicht besser anzuwenden als Bücher zu lesen? Das überlassen wir unsern Pfaffen, mein Sohn!« Er lachte, aber es klang nicht ganz echt.
    Schriftbesitzer? War im Koran nicht die Rede von Schriftbesitzern, und waren damit nicht auch die Christen gemeint? Ja, wo waren denn dann aber die Schriften, die sie besaßen? Danach wagte ich meinen Vater gar nicht zu fragen.
    In einem aber hatte er recht: Ich lernte das Ungarische schnell beherrschen, und ich lernte es gern. Meine beste Lehrerin dabei war Ildikó. Sie hatte Zeit dazu. Sie lehrte mich die Geschmeidigkeit der ungarischen Wörter kennen, die so groß ist, dass man durch Anhängen immer neuer Nachsilben mit einem einzigen Wort das ausdrücken kann, wozu man in andern Sprachen fünf verschiedene benötigt. Und vor allem lehrte sie mich die Höflichkeit und Zuvorkommenheit des Sprachgebrauchs: nicht fordern, wollen, mögen, sondern bitten, und nicht nur bitten, sondern schön bitten – ja, sehr schön bitten, was nicht nur den Höhergestellten gegenüber angewandt wird, sondern auch im Familienkreis eine Selbstverständlichkeit ist.
    Während sie mit mir sprach, lauschte ich ihr das alles ab, denn sie prägte es mir ja nicht ein wie ein Schulmeister, sondern ließ es mich mit Entdeckerfreude feststellen und nachsprechen, und ich war glücklich, wenn sie mich anlachte und sagte: »Okos fiu vagy«, (bist ein kluger Junge), ja, mir ab und zu zur Belohnung sogar einen Kuss gab. Selbst wenn ich die komischsten Fehler machte, lachte sie mich niemals aus, und das nahm mir die Hemmung, sodass ich bald darauflosschwatzte wie ein glückliches Kind.
    Ich sagte, sie hatte Zeit. Doch sie verschwendete sie nicht an mich, denn während sie mit mir plauderte, nähte sie an ihrer Aussteuer. Den ganzen Winter über hatten die Mägde gesponnen und gewebt, und nun lag das Linnen – das feine aus Flachs, das grobe aus Hanf – gebleicht und aufgestapelt in den Truhen. Unermüdlich waren Ildikó und Trézsi-Néni dabei, es mit Stickereien zu verzieren. Wenn ich sie freilich mit den Kunstwerken verglich, die meine Mutter mit Gold- und Silberfäden auf Seidengewebe hergestellt hatte, kamen sie mir plump vor, denn das Hanfgewebe, das so grob war, dass man seine Schuss- und Kettfäden abzählen konnte, wurde mit Wolle bestickt, die man mit Ochsenblut rostbraun und mit dem Schalensaft unreifer Nüsse dunkelbraun gefärbt hatte. Seltsam, eckig und kantig wurden die Muster, die unter den Händen der Frauen entstanden, und doch entbehrten sie nicht eines gewissen Reizes, und mein Auge gewöhnte sich daran, wie sich mein Ohr an den Klang und den Sinn ihrer Worte gewöhnte.
    Manchmal blieb ich mit Ildikó auch allein, und dann sprach sie mit mir von Dingen, die sie im Beisein anderer niemals erwähnte. Am liebsten von ihrem Vater.
    »Du hättest ihn sehen sollen, wie er beim Abschied vor mir stand. Er hatte schon den Helm aufgesetzt, aber er nahm ihn noch einmal ab, und das Haar fiel ihm wie ein Bündel Sonnenstrahlen auf die Schulter. Er war ja noch blonder als ich, weißt du. Und dann lachte er (er lachte so oft und so gerne, ich glaube, selbst wenn er traurig war, verbarg er es unter seinem Lachen) und sagte: ›Wein nicht, mein Täubchen, wenn du groß bist, komme ich wieder und bringe dir einen Bräutigam mit, einen Ritter, so schön wie der Erzengel Michael, dessen Bild du in unserer Kirche siehst. Nur ein paar Jahre musst du warten, darfst nicht ungeduldig werden, nicht traurig sein, das Lachen nicht verlernen – sonst wendet er sein Pferd und kommt nie

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