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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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viel zu alt für sie, viel zu …«
    »Dehogy!« rief sie, »es haben schon viel ältere Männer viel jüngere Frauen geheiratet.«
    »Und sie wird mich auch gar nicht wollen.«
    »Wollen. Wollen. Hat sie den Kálmán gewollt? Was hat sie denn zu wollen? Ich werde schon mit ihr reden.«
    Als ich das hörte, wäre es mir lieber gewesen, der Zaubervogel Simurg hätte mich erfasst und nach dem Berge Kaf gebracht, der das Land der Menschen wie ein Ringwall umgibt, hinter dem sich die gähnende Leere des Gar nichts ausdehnt. Dorthin sich hinunterzustürzen – das wünschte ich mir damals. Zum Ersten, doch nicht zum letzten Mal. Denn hält nicht der Dämon des gar nichts die menschliche Seele umschlossen und kann der Ringwall hoch genug sein, den man errichtet, um sie vor dem Blick in diesen Abgrund zu bewahren? Und doch blieb ich stehen wie versteint, bis mein Vater sagte: »Nein, Tante, reden will lieber ich mit ihr.« Da regten sich meine Füße wie von selbst und brachten mich so eilends fort, dass mein Vater mich nicht mehr antraf, als er über den Flur in Ildikós Zimmer ging.
    Der Hochzeitstermin brauchte nicht verschoben zu werden. Bis zur Weinlese waren es noch zehn Wochen. Ich suchte mir andere Sprachlehrer in dieser Zeit. Nach Ildikós Unterricht hatte ich kein Verlangen mehr. In die Ställe ging ich. Hier war reges Leben. Die Ställe waren ja das Erste, was mein Vater auf dem Hof instand setzen ließ. Der Miklös war der erste Knecht, den er davonjagte, weil er mit den Tieren nicht gut umging. Statt seiner zog der Jöska ein, der Enkel des alten Tomäs, der meinem Vater vor Jahr und Tag den Pferdeverstand beigebracht hatte. Mit dem freundete ich mich an.
    Er lehrte mich die andere Seite dieser so ausdrucksvollen Sprache kennen: das Fluchen. Denn der Ungar, der mit den Frauen so zart und zärtlich zu sprechen weiß (nie würde er seine Mutter anders nennen als »Süße Mutter«), ist gleichermaßen imstande, seinem Ärger und Zorn vor seinesgleichen einen Ausdruck zu geben, der an Bildhaftigkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Sodass sogar der Deutsche, der in diesem Lande wohnt und mit dem Ungarn nicht immer auf dem besten Fuße steht, sich dessen Sprache bedient, wenn er seinem Herzen kräftig Luft machen will, weil ihm dazu in der seinen die Worte und die Wendungen fehlen.
    Mein Vater ließ mich gewähren. Er fragte nicht viel nach mir in dieser Zeit. War es, dass Ildikó ihn gefangen nahm, die schöner war als je, heiterer und freundlicher als je, war es, dass ihn die Sorge um den Großvater quälte, der vor unsern Augen verfiel und dem er, offenbar von Gewissensbissen getrieben, viele Stunden des Tages widmete, obwohl der Alte oft einschlief, während man mit ihm sprach – oder war ich auch nur besonders empfindlich, eifersüchtig auf die Frau, der ich aus dem Wege ging, und den Alten, zu dem ich kein Verhältnis fand – genug, ich kam mir vernachlässigt vor, überflüssig in diesem Hause, wo niemand mir eine Pflicht übertrug und alle mich wie ein Kind behandelten.
    Freunde? Wo waren Freunde, und worüber sollte ich mit ihnen sprechen?
    Karib kam mir in den Sinn. Was hatte er gesagt unter dem Holunderstrauch?
    »Wenn du einen Freund hast, mit dem du alles teilst – jedes Gefühl und jeden Gedanken, mit dem du sprechen kannst über alles, was dich bewegt, der deinen Geist schärft, indem er deinen Gedanken bis in ihre Ursprünge nachgeht und sie bis zu ihren äußersten Grenzen verfolgt …« Ach ja, Karib … Ob ich ihn jetzt wohl wieder von mir stoßen würde, wenn er vor mir stünde? Doch wo war er? Und wo Ibad, auf dessen herausfordernde Reden ich mit einem ungarischen Fluch antworten könnte, dass es ihm die Sprache verschlüge? Und wo Abbas? Der dumme Abbas, der mir doch immer noch mehr zu sagen hätte als einer der jungen Leute hier!
    Was hatte mein Vater mir auf meine Frage nach Büchern geantwortet? »Das Lesen überlassen wir den Pfaffen.« Ja, warum ging ich denn nicht zu ihnen, diesen Pfaffen? Da fuhren wir doch jeden Sonntag zur Messe ins Dorf hinunter, bekreuzigten uns vor dem Eintritt in die Kirche und vor jedem Heiligenbild, ließen die Gesänge und Gebete an unserm Ohr vorüberrauschen und ließen die Hostie, die uns der Priester in den Mund steckte, auf der Zunge zergehn. Warum denn klopfte ich nicht einmal an seine Tür und fragte: »Wo sind deine Bücher, Schriftbesitzer?«
    Ich tat es. Er brachte ein unscheinbares, abgegriffenes Buch herbei. »Die Bibel?« wollte ich

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