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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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Schrunden und doch auch prangend in Farben – dunkelgrün die Tannenwälder, maihell das Laub der Buchen und Birken, rötlich die ersten zaghaft hervorbrechenden Spitzen der Eichenblätter. Und zu unserer Seite der Fluss, der, geschwellt von der Schneeschmelze, seine gelbbraunen Fluten eilig der Donau zutrieb. Ich werde das Bild nie vergessen und auch nie, wie mein Vater plötzlich vom Pferd sprang und sich auf die Erde warf. Er hatte eine Quelle entdeckt und trank und trank, als könnte er die ganze Heimat in sich hineintrinken.
    In einem kleinen Dorf am Fuß des Gebirges übernachteten wir. Eine von Türmen und Mauern wohlbewachte Stadt ließen wir links von unserer Straße liegen. Doch konnten wir unser Ziel erst am nächsten Tag erreichen, da wir unsern Pferden noch eine Nacht Ruhe gönnen mussten. Aber dann brachen wir mit dem Morgenrot auf und legten die letzten Meilen zurück wie auf Windesflügeln, sodass wir zwei Stunden vor Mittag Kövár vor uns liegen sahen: die Pappelallee (»Wie hoch sie gewachsen sind!«) und an ihrem Ende das wuchtige ziegelüberdachte Tor, hinter dem sich, breit hingelagert, das Herrenhaus erhob.
    Mein Vater hatte sich schon bei Weggenossen erkundigt und erfahren, dass der alte Köváry Lörinc noch am Leben sei, nicht aber die Köváry Lörincné, die sei schon lange tot. Da habe der Alte seine verwitwete Schwester zu sich genommen mit Ildikó, deren verwaister Enkelin.
    Und dann dieses: Die Hunde bellen, die Knechte springen herbei, das Tor tut sich auf, man reitet ein und wird willkommen geheißen wie ein fremder Gast. Die Frau des Hauses tritt herzu (»Das ist die Trézsi Néni, küss ihr die Hand!«), man steht einen Augenblick stumm, wie versteint, bis sich endlich das Wort löst: »Én vagyok István, és ez az én fiam!« (Ich bin István, und dies ist mein Sohn!), und der TrezsiNéni das Wasser in die Augen springt und man nicht weiß, weint sie vor Rührung oder vor Erschrecken oder vor beidem zugleich.
    Folgende Lage fanden wir auf Kövár vor: Der Großvater lebte noch, war aber nach einem Schlaganfall, den er ein halbes Jahr zuvor erlitten hatte, rechtsseitig gelähmt. Er saß in einem Lehnstuhl, wurde vom Bett zum Tisch, vom Tisch zum Bett und bei schönem Wetter auch in den Garten getragen, war aber noch völlig bei Verstand und fragte, als er begriffen hatte, dass der tot geglaubte Sohn vor ihm stand: »Du kommst allein? Und wo hast du den Ärpad und den Mihäly gelassen?« Das waren die beiden leibeigenen Burschen, die mein Vater in den Türkenkrieg mitgenommen und im Getümmel der Schlacht bei Nikopolis aus den Augen verloren hatte.
    »Sie werden tot sein, lieber Vater, es sind damals wenige mit dem Leben davongekommen.«
    »Und dich hat Gott nicht gestraft für deinen Ungehorsam?«
    War das die Begrüßung eines Sohnes, der nach siebenundzwanzig Jahren wie aus dem Grabe auferstanden war? Ich sah, wie das Gesicht meines Vaters zuckte, doch mir fiel es schwerer, mich zu beherrschen, als ihm. »Verzeih mir«, sagte er nur.
    Der Alte wandte sich mir zu. »Und du«, sagte er, »wie alt bist du?«
    »Siebzehn Jahre.«
    »So alt, wie dein Vater, als er mir davonlief. Wirst du ihm ebenfalls davonlaufen?«
    Nein, ihm nicht, lag es mir auf der Zunge zu sagen, aber ich sprach es nicht aus.
    »Was ist mit dem Jungen, warum antwortet er nicht, wenn man ihn etwas fragt?«
    »Er ist erschöpft und hungrig, lieber Vater, wir haben uns keine Ruhe gegönnt, sind Tag und Nacht geritten. Er wird schon noch gesprächiger werden. Gyurka, küß dem Großvater die Hand!«
    Ich wollte mich über die erschlaffte Rechte beugen, doch der Alte streckte mir die Linke entgegen. »Diese hier!« Es klang wie ein Befehl.
    Unterdessen hatte die Tante den Tisch decken und auftragen lassen, was Küche und Keller hergaben. Und als wir uns gerade hinsetzen wollten, kam Ildikó.
    Ich hatte mich ja nun schon an die unverhüllten Gesichter der Frauen gewöhnt, die mir zuerst so entblößt und nackt vorgekommen waren, dass ich sie nicht ansehen konnte, ohne rot zu werden. Und mein Vater hatte mich belehrt, dass ich ihnen in die Augen sehen müsse, wenn sie mit mir sprächen. (In den islamischen Ländern gilt das als die unverschämteste Zudringlichkeit.) Aber als Ildikó nun auf mich zutrat, sagte: »Du bist also mein neuer Vetter«, mich umarmte und mir einen Kuss auf die Wange gab, wurde mir schwarz und schwindlig vor den Augen, und als sie gar ausrief: »Sieh einmal, Großmutter, ähnelt er nicht dem

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