Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Willen, Kelsey, und du bist ziemlich eigensinnig – was man als Stärke oder als Schwäche auslegen kann.«
Candace gab auf. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß gegen diese geballte Front nicht anzukommen war. »Wir machen uns Sorgen um dich, Kelsey. Und wenn ich zu hart mit dir ins Gericht gegangen bin, dann nur aus diesem Grund. Dazu kommt, daß uns allen die Situation allmählich über den Kopf wächst. Diese neuerlichen Vorfälle haben alte Erinnerungen wachgerufen. Die Leute fangen
wieder an zu reden, und das wirft natürlich ein schlechtes Licht auf deinen Vater.«
»Zwei Männer sind getötet worden.« Etwas ruhiger trat Kelsey einen Schritt zurück. »Darauf hatte ich keinen Einfluß, genausowenig wie auf die Gerüchte, die dann in Umlauf waren.«
»Zwei Männer wurden getötet«, wiederholte Philip. »Und da erwartest du von uns, daß wir uns keine Sorgen machen?«
»Nein.« Ich kann euch nur versichern, daß diese Ereignisse weder mit mir noch mit Three Willows etwas zu tun haben. Gewalt gibt es überall. Rennbahnen sind keine Brutstätten von Laster und Ausschweifung; für so etwas hat man weder die Zeit noch die Energie, wenn man jeden Morgen in aller Hergottsfrühe aufstehen muß. Dieses Leben besteht aus Arbeit, und zwar aus harter Arbeit. Teils ist sie langweilig, teils aufregend, aber für mich ist sie ungeheuer befriedigend. Da steigen nicht jede Nacht wüste Partys, wo der Champagner in Strömen fließt. Meistens schlafen wir um zehn schon tief und fest. Dad, ich habe gesehen, wie Fohlen geboren wurden – und ich habe auch gesehen, wie gestandene Männer ein krankes Pferd in den Schlaf gesungen haben. Die Rennbahn ist kein Ort aus einem Disney-Film, aber sie ist auch kein Sündenpfuhl!«
Philip schwieg. Er wußte, daß er verloren hatte. Genausogut hätte Naomi vor ihm stehen und eine Welt verteidigen können, zu der er niemals Zugang gefunden hatte.
»Ich bin sicher, es gibt auch positive Aspekte.« Candace bemühte sich sichtlich um Objektivität. »Ich habe das Derby von Kentucky schon einmal im Fernsehen verfolgt und muß zugeben, daß ich von den Pferden beeindruckt war. Das ganze Ereignis ist sicherlich nicht ohne Reiz. Vor ein paar Jahren besaßen die Hanahans sogar einen Anteil an einem Rennpferd, weißt du noch, Philip? Wir verdammen ja auch nicht den gesamten . . . Berufsstand« – so nannte man das wohl –, »wir sind wegen deines Umgangs in Sorge. Du hast gesagt, dein Freund sei ein Spieler.«
Kelsey stieß vernehmlich den Atem aus. »Das habe ich
nur gesagt, um Großmutter auf die Palme zu bringen. Ich hätte es folgendermaßen formulieren sollen: Ich interessiere mich für den Mann, dem das Nachbargestüt gehört. Tut mir leid, daß ich euch Kummer bereitet habe. Und ich entschuldige mich von vornherein für den nächsten Schlag. Ich werde nämlich den Mietvertrag für mein Apartment nicht verlängern, sondern auf Three Willows bleiben, zumindest vorerst. Vielleicht sehe ich mich später nach einem eigenen Haus um, aber auf jeden Fall werde ich weiter auf der Farm arbeiten.«
Candace legte eine Hand auf Philips Arm, eine Geste, die sowohl Verständnis als auch Unterstützung ausdrükken sollte. »Ohne Rücksicht auf die Konsequenzen?« sagte sie.
»Ich werde mein Bestes tun, um sie so gering wie möglich zu halten. Da ihr mich sicherlich nicht auf der Farm besuchen wollt, werde ich so oft zu euch kommen, wie ich kann. Jetzt bin ich eine Weile nicht in der Stadt, aber ich werde anrufen.« Kelsey griff nach ihrer Handtasche und drehte den Riemen zwischen den Fingern. »Ich möchte keinen von euch verlieren.«
»Das wirst du auch nicht. Dies ist dein Zuhause, und das wird es auch immer bleiben.« Philip zog seine Tochter an sich. Candace sagte nichts dazu.
Die Rückfahrt erschien Kelsey endlos, ein ernüchterndes Zwischenspiel, das sie zwischen Tränen und Zorn schwanken ließ. Der größte Zorn war verflogen, als sie Three Willows erreichte, doch der Schmerz ließ nicht nach.
Kelsey machte an der Vordertür wieder kehrt. Sie wollte noch nicht hineingehen und Naomi gegenübertreten, denn sie war nicht in der Verfassung, ihrer Mutter zu erzählen, wie über sie und die Welt, in der sie lebte, geurteilt worden war. Es war besser, sie versuchte erst einmal, selbst darüber hinwegzukommen. Sie würde einfach zwischen den langsam verblühenden Narzissen sitzen bleiben, bis sich ihre innere Aufruhr gelegt hatte.
Da trat Gabe auf die Veranda.
»Ich habe dich
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