Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
gesucht.«
»Oh. Ich dachte, du wärst schon längst weg.«
Gabe setzte sich neben sie auf die schmale Steinbank, von der aus man die ersten Nelken und Akeleien sehen konnte. »Ich fahre erst heute abend.« Er hatte sie wiedersehen wollen, Grund genug, um seine ursprünglichen Pläne über den Haufen zu werfen. Sanft nahm er ihr Kinn in die Hand und drehte ihr Gesicht zu sich, um sie besser ansehen zu können. Sie hatte geweint. Überrascht stellte Gabe fest, daß dieser Anblick ihn tief berührte.
»Was ist los?«
Kelsey schüttelte den Kopf und rückte von ihm ab.
»Verbringst du viel Zeit damit, über dich selbst nachzudenken?«
»Wenn es sich vermeiden läßt, nicht.«
»Aber man muß es tun, wenn man seine Fehler in aller Deutlichkeit vorgehalten bekommt, so daß man meint, in einen Spiegel zu blicken und ein Zerrbild seiner selbst zu erblicken.«
Gabe legte seinen Arm und ihre Schulter und fragte betont unverfänglich: »Wer ist denn gemein zu dir gewesen, Baby? Sag’s mir, damit ich ihm eine Tracht Prügel verpassen kann.« Da mußte sie lachen, kuschelte sich kurz an ihn und setzte sich dann wieder auf. »Ich bin kein umgänglicher Mensch, Gabe. Es hat mich immer überrascht, wenn mich jemand starrköpfig oder verwöhnt nannte. Ich habe mir dann immer gesagt, daß stimmt nicht, ich tue nur, was ich für richtig halte.«
Ruhelos stand sie auf und ging ein paar Schritte von ihm weg über einen gepflasterten kleinen Pfad, der sich durch die frisch gesetzten Blumen schlängelte. »Als Wade mir vorwarf, ich sei kalt, engstirnig, rechthaberisch, nachtragend und was weiß ich noch alles, erklärte ich das damit, daß er nur seinen eigenen Betrug rechtfertigen wollte. Ich war ihm im Bett zu langweilig, also war es sein gutes Recht, sich eine interessantere Frau zu suchen. Ich zeigte
nicht genug Verständnis für seine beruflichen Probleme, also suchte er sich das bei einer anderen. Und ich habe mich geweigert, großzügig darüber hinwegzusehen, daß ich ihn mit einer anderen Frau im Bett ertappt habe. Wenn ich seine physischen Bedürfnisse nicht erfüllen konnte, war das schließlich mein Problem. Ich hatte aber noch nie Schwierigkeiten, Nägel mit Köpfen zu machen. Wade bricht sein Ehegelübde? Gut, somit ist die Ehe für mich beendet, und basta. Schön, dann bin ich eben unnachgiebig!«
Auf Widerspruch gefaßt, wandte sich Kelsey Gabe zu. »Ich habe ganz klare Grundsätze. Es gibt richtig und falsch, Wahrheit und Lüge, Gesetz und Verbrechen. Nimm zum Beispiel die Anschnallpflicht!«
Gabe nickte, doch er war auf der Hut. »Gut. Nehmen wir die Anschnallpflicht.«
»Ehe die Vorschrift in Kraft trat, habe ich mich auch nicht immer angeschnallt. Man hat andere Dinge im Kopf, ist in Eile oder will nur kurz wegfahren. Aber von dem Moment an, wo dieses Gesetz rechtskräftig wurde, hat Klein Kelsey brav den Sicherheitsgurt angelegt. Immer, ohne Ausnahme.«
»Und du meinst, das macht dich zu einem Moralapostel?«
»Ehe dieses Gesetz in Kraft trat, da war es einfach nur Dummheit, ohne Gurt zu fahren. Ich kann über vieles hinwegsehen, nur über ein Gesetz nicht. Na ja, Geschwindig-keitsbeschränkungen«, gab sie zu. »Aber immer wenn ich zu schnell gefahren bin, dann wußte ich, daß ich damit ein Gesetz verletzt hatte. Aber Wade sah das alles anders. Wenn ich schon nach Atlanta gefahren bin, um unsere Ehe zu retten, warum war ich dann nicht auch bereit, Wades Seitensprung hinzunehmen? Ich werd’s dir sagen. Weil er sein Versprechen gebrochen hat. Und das konnte ich nicht entschuldigen.«
Gabe rieb sich das Kinn. »Was willst du jetzt von mir hören, Kelsey? Daß es ein Fehler war, den Mistkerl zum Teufel zu jagen? Da kann ich dir aus zwei Gründen nicht
zustimmen. Erstens finde ich, daß du vollkommen richtig gehandelt hast, und zweitens will ich dich für mich. Aber eins kann ich dir sagen, wenn wir verheiratet gewesen wären und ich hätte dich mit einem anderen Kerl im Bett überrascht, dann wäre der Kerl danach einen Kopf kürzer gewesen und du würdest es sehr bedauern. Hilft dir das weiter?«
Kelsey schloß die Augen und rieb mit beiden Händen ihr Gesicht. »Wie konnte ich nur in diesen Schlamassel geraten?«
»Ich schätze, du hattest einen harten Morgen. Wo warst du denn?«
»Bei meinem Vater.« Ihr war schon wieder zum Weinen zumute. Lächerlich, schalt sie sich, wandte sich ab und kämpfte gegen die Tränen an. »Ich wollte ihn von Angesicht zu Angesicht informieren, daß ich mein Apartment
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