Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
will ich nicht riskieren.«
»Naomi war nicht die einzige, die ihn kannte.«
Diese Möglichkeit hatte Kelsey auch schon erwogen – und wieder verworfen. »Ich kann ja wohl kaum auf der Rennbahn herumlaufen und Fragen stellen, die anderen Pferdebesitzer oder die Pfleger ausquetschen. Was ich dabei in Erfahrung bringen könnte, wiegt den Klatsch, der daraus resultieren würde, nicht auf.«
»Was hast du dann vor?«
»Ich kenne den Namen des Beamten, der den Fall bearbeitet hat. Er ist mittlerweile pensioniert und lebt in Reston.«
»Wie ich sehe, hast du deine Hausaufgaben erledigt.«
»Ich war schon immer eine gute Studentin. Ich werde diesem Tipton einen Besuch abstatten.«
Gabe nahm ihre Hand und zog sie hoch, bis sie stand. »Wir werden ihm einen Besuch abstatten.«
20
»Ist schon lange her, Roscoe.« Tipton schüttelte Rossi die Hand. »Wie kommt’s, daß du noch nicht auf meinem alten Stuhl sitzt?«
»Ich arbeite dran, Captain.«
»Komm, setz dich, und wir trinken einen Schluck.« Tipton machte es sich in einem Schaukelstuhl bequem und bediente sich aus einer kleinen Kühlbox, in der ein Sechserpack Budweiser stand. »Wie geht’s deiner Frau?«
Rossi nahm die Dose, die Tipton ihm reichte, und riß sie auf. »Welcher?«
»Ach ja, ich vergaß. Du bist ja ein doppelter Verlierer.« Kichernd stieß Tipton mit seiner Dose die von Rossi an und trank einen Schluck. »Scheidung ist schon fast eine Berufskrankheit, stimmt’s? Na ja, ich hatte Glück.«
»Wie geht’s Mrs. Tipton?«
»Frisch und munter wie eh und je.« In Tiptons rauher Stimme schwang eine tiefe Zuneigung mit. »Zwei Wochen nachdem ich in Pension gegangen bin, hat sie einen Job angenommen.« Belustigt schüttelte er den Kopf. »Behauptet, sie bräuchte Beschäftigung, jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind. Dabei wissen wir beide, daß die Arbeit sie nur davon abhalten soll, mir bei der nächstbesten Gelegenheit auf den Schädel zu schlagen. Also hab’ ich meine Werkstatt im Schuppen, und sie verkauft Schuhe.« Lächelnd nahm er noch einen Schluck. »Ich hatte wirklich Glück, Roscoe. Nicht jede Frau kann mit einem Polizisten leben, ob er nun aktiv oder pensioniert ist.«
»Wem sagst du das?« Zwei Frauen und zwei Scheidungen innerhalb von zwölf Jahren hatten Rossi das nur allzu drastisch vor Augen geführt. »Du siehst gut aus, Captain.«
Was nicht zu leugnen war. In den drei Jahren seit seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst hatte Tipton ein
paar Pfund zugelegt, aber es stand ihm gut. Die harten Linien, die der Job in sein Gesicht gegraben hatte, waren durch das zusätzliche Gewicht verschwunden. Er wirkte entspannt und zufrieden.
»Vielen Leuten bekommt der Ruhestand nicht«, bemerkte Tipton. »Macht sie alt. Aber ich fühle mich prächtig, ich hab’ ja noch meine Werkstatt – den Stuhl habe ich übrigens auch selbst gemacht.«
»Wirklich?« Rossi schaute den wackeligen Schaukelstuhl genau an. Der Anstrich konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Stuhl einen deutlichen Linksdrall hatte.
»Außerdem habe ich jetzt schon drei Enkel und Zeit genug, um mich an ihnen zu freuen. Meine Frau und ich denken daran, diesen Herbst einen Wanderurlaub zu machen.«
»Klingt, als hättest du alles, was du willst, Captain.«
»Verdammt richtig. Ein langer, ruhiger Lebensabend ist die Belohnung für ein erfolgreiches Arbeitsleben.«
»Und am Erfolg gibt es ja keinen Zweifel.« Rossi nippte an seinem Budweiser. Eigentlich bevorzugte er Importbier, doch er hütete sich, das zu sagen. »Vermutlich interessieren dich die beruflichen Dinge jetzt nicht mehr. Aber hast du von dem Fall, den ich gerade bearbeite, gelesen?«
»Manchmal werfe ich einen Blick auf die Schlagzeilen.« In Wahrheit verschlang er sie regelrecht.
»Der Pferdepfleger, der im März in Charlestown ermordet wurde.«
»Erstochen und dann zertrampelt. Du hattest den Fall abgeschlossen«, erinnerte sich Tipton. »Ein anderer Pfleger war’s, Lipsky. Beging Selbstmord.«
»Das ist noch nicht raus.« Rossi lehnte sich zurück und beobachtete ein Spatzentrio, das mit Getschulpe um ein offensichtlich in Heimarbeit entstandenes Vogelhäuschen im Garten herumflatterte. Darunter saß eine rotgetigerte Katze und beobachtete sie geduldig.
Für Außenstehende mußten sie wie zwei Männer wirken, die sich die Zeit mit Fachsimpeleien vertrieben,
dachte er. »Kein Abschiedsbrief, kein Hinweis auf Selbstmordabsichten. Und die Methode paßte nicht ins Bild. Paß mal auf.«
So
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