Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Slater hat Klasse, jawohl. Und er hört zu, wenn man ihm was sagt. Fragte mich’nen Tag später, was ich von Three Aces’ Bein halte.«
»Ist’n gutes Pferd.«
»Das ist er. Ich sag also Mr. Slater, daß mir das nicht nach ’m Unfall aussieht. Er guckt nur, und dann bedankt er sich ganz höflich.« Micks Knochen krachten, als er aufstand. »Ich werd’ mal nach Double sehen.«
»Denke, ich hol mir jetzt ’n Kaffee.«
Sie trennten sich, und Mick verschwand in den düsteren Ställen. Der Regen trommelte auf das Dach und übertönte das Scharren der Pferde in ihren Boxen. Ein Pfleger legte seinem Schützling eine Decke über. Mick blieb stehen, um das Tier genauer in Augenschein zu nehmen.
Keine Konkurrenz für Double, entschied er und schlenderte weiter zu dessen Box. Vor dem Rennen pflegte er Double immer ein bißchen aufzumuntern. Und er schaute ihm in die Augen, um festzustellen, ob er ein paar Dollar auf ihn riskieren konnte.
»Siehst du, mein Junge, wir haben den Regen extra für dich bestellt.« Mick öffnete die Tür zur Box. Sein Gesicht wurde finster. »Was zum Teufel hast du hier verloren, Lipsky? Du hast bei Mr. Slaters Pferden nichts zu suchen.«
Lipsky verblieb in seiner gebückten Stellung und musterte Mick mißtrauisch, während er mit der Hand über Doubles Bein fuhr. »Wollte ihn mir nur mal ansehen. Dachte, ich könnte ein paar Dollar auf ihn setzen.«
»Tu’ das, aber mach, daß du hier rauskommst.«
»Ich gehe. Ich geh ja schon.« Lipsky wollte verschwinden, doch Micks scharfen Augen entging so leicht nichts.
»Was wolltest du damit?« Mit einer raschen Bewegung schloß sich Micks Hand fest um Lipskys Arm. Die dünne, scharfe Klinge des Messers glänzte im schummrigen Licht. »Du Scheißkerl. Wolltest ihm das Bein zerschneiden, was?«
»Ich wollte ihm nichts tun.« Ängstlich schielte Lipsky zur Tür. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. »Nur dafür sorgen, daß er heute nicht starten kann.« Oder überhaupt mal wieder, dachte er. Mit zerschnittenen Sehnen auf keinen Fall. »Slater hat sich das selbst zuzuschreiben.«
»Du hast gekriegt, was du verdient hast«, korrigierte ihn Mick. »Keiner pfuscht mir an meinen Pferden herum. Und du Stück Dreck hast auch Three Aces auf dem Gewissen!«
»Weiß gar nicht, wovon du redest. Ich geb’ zu, das war ’ne blöde Idee. Aber es ist ja nichts passiert. Du siehst doch selbst, daß ich ihm nichts getan hab’.«
»Ich werd’s mir ansehen, später. Jetzt wollen wir erst mal sehen, was Mr. Slater dazu sagt.«
Lipsky fuhr zurück, wütend darüber, daß der knorrige alte Mann einen derart eisernen Griff hatte. »Mach keinen Unsinn.«
»Nicht doch. Ich übergebe dich Mr. Slater, und wenn der dir den Hals umdreht, dann tanze ich auf deinem Grab.«
»Ich hab’ den beschissenen Gaul nicht angerührt!« Verzweifelt holte Lipsky aus und stach nach Mick. Es entstand ein Handgemenge, und Double begann nervös zu tänzeln.
Die Klinge fuhr durch die Luft, verfehlte Micks Oberarm und ritzte die Flanke des Pferdes. Wild vor Schreck und Schmerz bäumte Double sich auf. Fluchend holte Mick tief Atem, um loszubrüllen, aber er kam nicht mehr dazu. Die Klinge traf ihn genau über der Gürtellinie.
»O Gott!« Genauso verblüfft wie sein Gegner riß Lipsky das Messer zurück und starrte auf die blutende Wunde. »Um Himmels willen, Mick! Ich wollte dich doch nicht verletzen.«
»Scheißkerl«, brachte Mick noch hervor und stolperte nach vorn. Im selben Moment stieg der vom Blutgeruch erregte Hengst vorne hoch und traf Mick mit einem Huf am Kopf. Nach einem kurzen brennenden Schmerz spürte dieser nichts mehr, kippte nach vorne und wurde von den Hufen des Pferdes zertrampelt.
Beinahe wäre Lipsky voller Panik aus der Box gerannt, doch er besann sich noch rechtzeitig und duckte sich in eine Ecke. Es war nicht seine Schuld, sagte er sich immer wieder. Verdammt, er war schließlich kein Mörder! Er wäre niemals mit dem Messer auf Mick losgegangen, schon gar nicht jetzt, wo er doch stocknüchtern war. Wenn Mick ihm bloß zugehört hätte, wäre das alles nicht passiert. Lipsky wischte sich über den Mund, kroch zur Tür und ließ das blutige Messer in seinem Stiefel verschwinden, ehe er leise aus der Box schlüpfte und sich davonmachte.
Er brauchte dringend einen Drink.
»Ist ja super!« Channing stand auf der nassen Tribüne und verschlang einen Hot dog. »Ich meine«, nuschelte er mit vollem Mund, »wer hätte gedacht, daß hier so viel los ist?
Weitere Kostenlose Bücher