Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
den Schmutz, den die Spurensicherung hinterlassen hatte. Eine fast leere Flasche Gin, ein einzelnes Glas und einen Aschenbecher voller Stummel, Marke Lucky Strike.
»Fragen Sie mich bloß nicht nach der Todesursache«, begann Dr. Lorenzo. »Ich kann Ihnen lediglich sagen, daß der Tod vor zwei bis drei Tagen eingetreten ist. Keine äußeren Verletzungen, keine Anzeichen eines Kampfes.«
»Todesursache?«
»Herzstillstand, Rossi. Wie bei allen.«
Ohne auf die Spitze einzugehen, versuchte Rossi, sich ein Bild von der Situation zu machen. Ein Mann betrank sich. Allein. Warum? Wut? Reue? Angst? Warum mietete sich ein Mann noch in einem billigen Motel ein, wenn er schon woanders eine Unterkunft hatte?
Sollte Lipsky auf der Flucht gewesen sein? Dann hatte er etwas zu verbergen.
Da er auf ihre sarkastische Antwort nicht reagiert hatte, beschloß Dr. Lorenzo, ihm etwas entgegenzukommen. »Er hatte ungefähr dreihundert Dollar in der Brieftasche, dazu eine abgelaufene Kreditkarte. In seiner Reisetasche haben wir eine vier Tage alte Ausgabe der Daily Racing Form gefunden, und in seinem linken Stiefel steckte ein Messer.«
Rossi nahm diesen Hinweis begierig auf: »Was für ein Messer?«
»Sechs Zoll lang, dünne Klinge, ziemlich stumpf.«
Das Herz des Polizisten schlug schneller. Die Spurensicherung würde sich das Messer vornehmen, und wenn Blut daran klebte, ob nun von einem Menschen oder einem Pferd, dann würden sie es feststellen. »Wer hat die Leiche gefunden?«
»Der Manager, ein gewisser Moser. Sitzt wahrscheinlich noch in seinem Büro und steht unter Schock.«
»Nicht jeder ist so hart im Nehmen wie Sie, Dr. Lorenzo.«
»Wem sagen Sie das?« Die Pathologin trat ins Freie und ärgerte sich, daß der Verkehrslärm von der Route 15 den herrlichen Frühlingstag störte. Ein Leichnam lag schon auf ihrem Seziertisch, und nun kam noch ein zweiter dazu.
»Ich brauche eine Kopie des Autopsieberichtes.«
»Sie bekommen ihn in zwei Tagen.«
»Vierundzwanzig Stunden. Kommen Sie mir entgegen.«
»Ich komme niemandem entgegen, Rossi.« Sie drehte sich um und stieg in ihr Auto.
»Moment.« Er hielt die Tür fest, bevor sie sie zuschlagen konnte. Drei Jahre kannte er Agnes Lorenzo jetzt und
wußte mittlerweile, wie er mit ihr umgehen mußte. »Erinnern Sie sich an den Typen, den Sie letzte Woche untersucht haben? Gordon, Mick Gordon. Alter Mann mit Stichwunde.«
Agnes Lorenzo griff nach einer Zigarette. Schon lange dachte sie nicht mehr darüber nach, wie schädlich Rauchen war. »Der mit dem Schädelbruch, den völlig zerstörten inneren Organen? Ja, ich erinnere mich.«
»Ich glaube, unser toter Freund hier ist dafür verantwortlich.«
Sie stieß eine Rauchwolke aus. Es hatte keine Notwendigkeit gegeben, das Messer näher zu untersuchen, aber an die Wunde erinnerte sie sich. In ihrem Kopf waren Dutzende verschiedener Verletzungen gespeichert.
Langsam nickte sie. »Könnte hinkommen. Okay, Rossi, für Sie schlage ich mir die Nacht um die Ohren, aber ich kann Ihnen nichts versprechen.«
»Danke. Er schloß die Autotür. Dann ging er ins Büro, um Jack Moser zu verhören.
Zehn Minuten später, nachdem er aus Florida zurückgekommen war, erfuhr Gabe von Lipskys Tod. Für die Presse hatte Dottie, das Zimmermädchen, sich als wahre Goldgrube für Informationen erwiesen.
Die Nachricht von Lipskys Tod in einem Motelzimmer verbreitete sich in Windeseile. In den Ställen wurde von nichts anderem mehr geredet. Gabes Haushälterin, die zweimal die Woche kam, brachte ihm die Zeitung mit der Meldung, als er gerade seine Reisetasche aufs Bett geworfen hatte.
Nackte Wut stieg in ihm hoch, als er den Bericht las. Er hatte sich gerade wieder unter Kontrolle, als Rossi auftauchte.
»Nett, Sie wiederzusehen, Mr. Slater.«
»Lieutenant.« Gabe hielt ihm die Zeitung unter die Nase, ehe er sich hinsetzte. »Wetten, daß Sie gekommen sind, um mit mir darüber zu reden?«
»Gewonnen.« Rossi legte die Zeitung beiseite und
machte es sich bequem. »Fred Lipsky hat bis vor einigen Wochen für Sie gearbeitet.«
»Bis ich ihn gefeuert habe, wie Sie wohl wissen. Er war ständig betrunken.«
»Und mit seiner Entlassung ganz und gar nicht einverstanden.«
»Allerdings nicht. Er fing einen Streit an und zog ein Messer, ich schlug ihn nieder und dachte, damit sei die Sache erledigt, was sich aber als Irrtum herausstellte.« Gabes Gesicht blieb unbewegt. »Wenn ich geahnt hätte, was er mit diesem Messer noch alles anrichtet, wäre
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