Schatten ueber Hollywood
nicht auf einem freien Feld, wie die Jungen gedacht hatten, sondern waren mitten in den Hang hinein auf Metallgerüste montiert. Nur ein schmaler Fußweg führte an ihnen vorbei.
Justus dachte daran, wie oft er den berühmten Schriftzug schon aus der Ferne gesehen hatte. Immer hatte darin etwas Großartiges gelegen: die Verheißung von Ruhm, die Erfüllung grandioser Träume. Aber jetzt aus der Nähe waren die Buchstaben plötzlich nur noch eine Sammlung großer Metallplatten, auf ein Gitter montiert, gesichert wie eine Kaserne und ungefähr so romantisch wie ein Busbahnhof.
»Und wo war nun dein Gespenst?«, fragte er Peter leise.
Mit einer Kopfbewegung wies Peter zu dem H hinüber. »Da drüben. Ich habe sie erst gesehen, als sie stürzte. Und dieser schreckliche Schrei …« Er erschauerte.
»Ich möchte da ganz sicher sein – du hast ganz genau gesehen, dass es eine weiß gekleidete Frau war?«
»Natürlich!«, rief Peter. Dann zögerte er. »Das heißt – nein. Ich habe etwas Weißes gesehen, das herunterfiel. Es blähte sich weit auf. So etwas tragen Männer normalerweise nicht. Also kann es ja nur eine Frau gewesen sein!«
»Es gibt nichts Täuschenderes als eine offensichtliche Tatsache«, sagte Justus. »Es ist durchaus möglich, dass sich der erste Schreck, der akustische Eindruck des Schreis und der optische Anschein des weißen Kleids in deinem Kopf zu einem in sich logischen, aber vielleicht trotzdem falschen Schluss verdichtet haben. Es könnte zum Beispiel auch ein Araber gewesen sein.«
»Aha«, sagte Bob, »du hast wieder Sherlock Holmes gelesen.«
»Das war sehr offensichtlich, mein lieber Watson«, sagte Justus. »Gehen wir mal hinüber.« Schon war er auf den Beinen und kletterte das letzte steile Stück zu den Buchstaben hinauf.
Peter stöhnte wieder. »Hätte ich doch bloß die Klappe gehalten.« Aber er folgte Bob, als dieser ebenfalls unter den Büschen hervorkroch und aufstand.
»Eins muss man unserem Ersten lassen«, sagte Bob. »Er hat vor nichts Angst.«
»Und genau das wird ihm eines Tages das Genick brechen«, prophezeite Peter düster.
»Dann retten wir ihn eben. Und überhaupt hast du noch eine Wette zu gewinnen. Komm!«
»Wahrscheinlich wusste Jeffrey, dass es hier von Geistern und Gespenstern nur so wimmelt. Das sähe ihm ähnlich.«
Bob antwortete nicht. Tatsächlich war er nicht ganz so selbstsicher, wie er sich gab. Die riesigen Buchstaben wirkten wie Monumente aus einer anderen Zeit – gigantisch und stumm sandten sie der Welt eine Botschaft, deren wahre Bedeutung verloren gegangen war. Wer erinnerte sich noch an die großen Glanzzeiten, die Träume und die Menschen der Filmgeschichte Amerikas? Bobs Oma schwärmte noch immer von Erroll Flynn oder James Stewart, und Bob wusste nicht einmal, wer diese Leute gewesen waren. Sein Hollywood war anders – schneller, lauter und vor allem bunt, und es verschickte seine Botschaften über das Internet, nicht in einem weißen Wort auf einem Berg.
Justus schien sich für solche Gedankengänge nicht zu interessieren. Er war bereits im Schatten des H verschwunden. Als Peter und Bob bei ihm ankamen, stand er hinter dem Gerüst aus Metallplatten und Stahlrahmen, das gar nicht mehr wie ein Buchstabe aussah, und spähte nach oben. »Sieh mal, Peter – ich glaube, da ist dein Gespenst.«
Peter zuckte zusammen und schaute hoch. Tatsächlich! Mindestens zehn Meter über ihm bewegte sich etwas Weißes! Es schwankte hin und her, schien springen zu wollen, konnte sich aber nicht recht entschließen – dann bauschte es sich in einer Windböe auf und Peter schlug sich vor die Stirn. »Ein Bettlaken! Der älteste Trick der Welt und ich bin darauf reingefallen!«
»Nicht nur du«, sagte Justus. Er zeigte auf eine Stelle ganz in der Nähe, wo das Gras platt gedrückt war und sich gerade erst wieder aufrichtete. »Du hast etwas fallen sehen – und jemand ist tatsächlich gefallen. Die Frage ist nur: wer? Und wo ist er jetzt?«
Nervös schauten Peter und Bob sich um. Plötzlich wurde ihnen bewusst, wie verlassen diese Stelle hoch auf dem Berg war. Der brausende Lärm von Los Angeles vertiefte nur das Gefühl, völlig allein zu sein … oder eben nicht ganz allein.
Sie selbst konnten nicht weit sehen, da die Scheinwerfer sie blendeten, aber vielleicht stand jemand dahinter im Dunkeln und beobachtete sie …
Peter wusste plötzlich, dass es eine unglaublich dumme Idee gewesen war, mitten in der Nacht hier heraufzukommen. »Wir sollten
Weitere Kostenlose Bücher