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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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Recht gehabt hatte. Die Schule besaß tatsächlich eine Homepage – eine ausgesprochen misslungene Webseite in der Farbe getrockneten Blutes mit gelben Icons, die obendrein auch noch sehr unübersichtlich gestaltet war. Dennoch brachte es Kate nach einiger Zeit fertig, einige Kontakte nebst den zugehörigen E-Mail-Adressen aufzustöbern. Sie druckte die Seite aus – für alle Fälle – und gab dann den Namen der nächsten Schule ein. Dieses Mal hatte sie kein Glück.
    Sie schrieb eine freundliche, nicht ganz ehrliche Mail an die erste Kontaktadresse. Bald, so hoffte sie, würde sie auf elektronischem Weg mit Menschen kommunizieren können, die Christopher Barnes persönlich gekannt hatten.
    Einen kurzen Augenblick lang fragte sich Kate, was wohl auf dem Bildschirm erscheinen würde, wenn sie nach Mitgliedern der Familie Dolby suchte. Vermutlich fand man im Internet höchstens irgendeinen entfernten Vetter, der bereits in den zwanziger Jahren nach Arizona ausgewandert war und kein Interesse hatte, seinen Wurzeln nachzuspüren. Sie widerstand der Versuchung, aus reiner Neugier in Georges Familie herumzuschnüffeln. Außerdem konnte sie das morgen immer noch tun, fuhr es ihr durch den Kopf.
    Sie ging hinunter in die Küche, staubte sämtliche Kartons ab und brachte sie in ihr Arbeitszimmer. Anschließend holte sie den Kassettenrekorder. In ihrem eigenen Reich, überlegte sie, konnte sie gemütlich sitzen und ungestört die Bänder abhören. Trotzdem verspürte sie nicht die geringste Lust, ihren Entschluss auch in die Tat umzusetzen, denn sie ahnte, dass sie hier genau das von Estelle favorisierte Material finden würde. Auf den Kassetten würde sie Geschichten von jungen Piloten hören, die hübsche Mädchen zum Tanz in das örtliche Gemeindehaus ausführten, wo sie zu den Klängen von Reg Crowhurst und den Rhythmic Serenaders tanzten, bis sie schließlich Hand in Hand im Mondschein nach Hause spazierten. Und an Sonntagnachmittagen gingen sie vermutlich auf der gefrorenen Port Meadow zum Schlittschuhlaufen, während die Sonne langsam unter dem dunstigen Horizont versank.
    Kate war ganz sicher, dass es auf den Bändern Hunderte solcher Geschichten gab, konnte sich aber trotz Estelles ständiger Nörgelei immer noch nicht dafür begeistern. Man musste jedoch begeistert sein, um sich hinzusetzen und achtzigtausend Worte über ein bestimmtes Thema zu schreiben. Ohne Begeisterung schaffte man nicht einmal ein Viertel des Pensums, ehe man schließlich endgültig aufgab.
    Nein, es waren die evakuierten Kinder, denen nach wie vor ihr ganzes Interesse galt. Kinder, die man aus ihren Familien geholt und in eine fremde Umgebung verpflanzt hatte, Kinder, die sich Sorgen um die Dinge machten, die zu Hause vor sich gingen. Vielleicht beinhalteten die Kassetten auch ihre Geschichte, doch wenn es so war, dann wollte sie sie keinesfalls in Georges Anwesenheit hören. Kate fühlte sich diesen Kindern in gewisser Weise verbunden und wollte nicht, dass jemand anderes sich in diese Beziehung drängte und sie mit ihr zu teilen versuchte. Und das galt sowohl für George als auch für Elspeth. Die Geschichte dieser Kinder gehörte ihr allein. Sie betrachtete sie als Privatbesitz.
    Hinzu kam, dass sie sich nicht für evakuierte Kinder im Allgemeinen interessierte, sondern nur für Christopher und Susan Barnes. Sie hatten in diesem Haus gelebt, waren die Treppen hinauf- und hinuntergesprungen, hatten in der gleichen Küche gesessen und in dem Zimmer gegessen, das Kate sich als Arbeitszimmer eingerichtet hatte. Oder hatte Elinor Marlyn den Kindern etwa gestattet, im Esszimmer zu speisen? Eher nicht. In der Küche vielleicht? Schon möglich. Dann hatten sie den gleichen schweren Holztisch benutzt, der auch heute noch dort stand und an dem sie gleich das Gemüse für Georges Abendessen putzen würde.
    Was immer mit den Kindern geschehen sein mochte – die Antwort war in diesem Haus zu suchen. Christopher hatte sein Kästchen mit den Zeichnungen und sein Schreibheft zurückgelassen, als hätte er sich gewünscht, dass jemand die Sachen findet. Er wollte, dass sie sich mit seiner Geschichte auseinandersetzte und herausfand, was wirklich passiert war. Jetzt geht aber deine Fantasie mit dir durch, mahnte Kate sich selbst. Und doch lag ein Körnchen Wahrheit darin. Niemand malte Bilder oder schrieb Hefte voll, wenn er nicht zu irgendeinem Zeitpunkt den Wunsch hatte, dass andere seine Werke zu Gesicht bekamen. Als Schriftstellerin wusste Kate, dass

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