Schatten über Oxford
Institution handeln musste, die jeder im Viertel kannte.
»Sie trägt einen einfachen schwarzen Mantel und einen grauen Hut, der wie ein großer Pfannkuchen aussieht«, fügte Janice hinzu. »Sie können sie unmöglich verfehlen.«
Auf dem Rückweg überlegte Kate, ob sie Elspeth Fry vielleicht überzeugen könnte, den Datenschutz etwas großzügiger auszulegen als Janice Carlton. Sie hatte nicht die geringste Lust, bis zum nächsten Sonntag zu warten, um die geheimnisvolle Miss Arbuthnot kennen zu lernen. Mit ein wenig Schmeichelei konnte sie die Adresse möglicherweise aus Elspeth herauskitzeln. Sie musste die Sache nur auf die richtige Weise in Angriff nehmen.
Natürlich war es durchaus möglich, dass sich Elspeth als ebenso diskret erwies wie Janice Carlton. Kleine Enttäuschungen gehörten nun einmal zum Leben.
Kaum war Kate zur Haustür hereingekommen, als auch schon Estelle anrief.
»Ich will bestimmt nicht drängeln, Kate«, sagte sie knapp, »aber ich hätte doch ganz gern ein kurzes Feedback, wie Sie mit Ihrem Buch vorankommen. Nicht, dass Sie mir noch weiter in Verzug geraten.«
»Jetzt sagen Sie bloß noch, dass Sie das alles nur mir zuliebe tun.«
»Selbstverständlich tue ich das nur Ihnen zuliebe. Und? Was haben Sie bisher unternommen?«
»Ich war in der Bibliothek und habe mir die Zeitungen aus den Kriegsjahren vorgenommen.« Das war zumindest nur ein wenig übertrieben.
»Sehr schön. Es ist immer wichtig, ein Gefühl für die entsprechende Zeit zu bekommen. So etwas verleiht einem Roman doch erst die richtige Konsistenz.«
»Außerdem habe ich Kontakt zu einer Augenzeugin hergestellt«, berichtete Kate. »Wir hatten bereits eine sehr fruchtbare Begegnung, bei der ich weitere Namen erfahren habe, deren Geschichte ich verfolgen kann.«
»Hervorragend. Somit stammt die Geschichte unserer jungen, leidenschaftlichen Frau im Militärdienst ja tatsächlich aus erster Hand.«
Kate dachte an die strickende Violet Watts, die alles, was auch nur annähernd in Richtung Leidenschaft ging, aus tiefstem Herzen missbilligte. »Ich komme der Sache jedenfalls näher«, sagte sie.
»Gut. Halten Sie mich weiter auf dem Laufenden. Wir wollen doch nicht, dass Sie als Autorin in der Versenkung verschwinden, nicht wahr?«
»Bestimmt nicht«, sagte Kate, nachdem sie aufgelegt hatte. Allerdings musste sie zugeben, dass ihre Recherchen relativ weit von dem entfernt waren, was sie Estelle angedeutet hatte. Bisher hatte sie nichts anderes in Erfahrung gebracht als eine Menge Klatsch über die Familie ihres Lebensgefährten – vermutlich obendrein ungenau und ziemlich voreingenommen – sowie den Beginn einer Geschichte von zwei im letzten Kriegsjahr nach Headington evakuierten Kindern. Estelle wäre sicher nicht begeistert, wenn sie davon wüsste. Doch der Ausdruck »richtige Konsistenz« hatte Kate gefallen. Sie würde ihn sich für eine zukünftige Gelegenheit merken. Er konnte sich zum Beispiel als nützlich erweisen, wenn sie das nächste Mal ihre Agentin abspeisen musste. Ich arbeite an der Konsistenz , Estelle .Ja, das würde Estelle für einen oder zwei Tage ruhigstellen, ehe sie sich zu fragen begann, wo sie den Satz schon einmal gehört hatte.
Vielleicht sollte sie ein ernsthaftes Buch lesen. Irgendetwas Passendes würde sich im Haus sicher finden, denn in den Regalen stand nicht nur Georges Büchersammlung, sondern auch die von früheren Generationen zusammengetragene Literatur. Verblichene Einbände und vergilbte Seiten legten nur allzu beredt Zeugnis davon ab, wie lange diese Bücher bereits darauf warteten, endlich gelesen zu werden.
Zum großen Pech für den Fortschritt ihres Romans erinnerten die Bücher Kate allerdings aus irgendeinem Grund an die Keksdose, in der Christopher Barnes seine Schätze verstaut hatte.
Sie ging in ihr Arbeitszimmer, um nach ihren E-Mails zu schauen. Danach würde sie sich eine Tasse Tee aufbrühen und sich anschließend ein Stündchen dem Inhalt der Keksdose widmen, bevor George von der Arbeit nach Hause kam. Er sollte keinesfalls annehmen, dass sie in der Geschichte seines Hauses und seiner Familie herumschnüffeln wollte.
Sie fand nur eine einzige E-Mail vor. Sie stammte von Estelle und lautete: »Warum arbeiten Sie nicht an Ihrem Roman?« Na schön. »Mache ich doch!«, mailte sie postwendend zurück und beschloss, auch wirklich zu tun, was sie behauptete. Zum Beispiel könnte sie einen oder zwei glaubhafte Charaktere entwerfen. Oder ein paar Seiten Notizen
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