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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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wuchsen. Kate drückte auf eine der drei Klingeln an der Haustür.
    Die Frau, die ihr öffnete, erinnerte Kate an die Mathematiklehrerin, die sie während ihrer ersten Wochen auf dem Gymnasium in Angst und Schrecken versetzt hatte. Sie maß mindestens eins fünfundsiebzig, hielt sich sehr gerade, hatte schneeweißes Haar, das sie in einem fast männlichen Schnitt trug, und den klarsten Teint, der Kate je zu Gesicht gekommen war – sicher die Folge von viel Sport, jahrelanger gesunder Ernährung und einem stetigen tugendhaften Lebenswandel, dachte Kate.
    »Kommen Sie herein und setzen Sie sich«, forderte Miss Arbuthnot sie auf. »Ich schätze Sie als Kaffeetrinkerin ein.«
    »Richtig getippt. Vielen Dank.« Was mochte sie verraten haben? Hatte sie etwa gelbe Zähne? Oder zittrige Hände?
    Das Wohnzimmer entsprach fast genau ihren Erwartungen. Es war ein großer, wohlproportionierter Raum, und das Mobiliar sah aus, als wäre es nicht in einem Möbelgeschäft gekauft, sondern innerhalb der Familie weitervererbt worden. Das Ergebnis wirkte ausgesprochen bequem und beständig.
    Kate setzte sich auf ein kleines, hübsch bezogenes Sofa und betrachtete die auf jeder Ablagefläche herumstehenden Fotos. Es handelte sich nicht etwa um Fotos von Kindern, wie man hätte erwarten können, sondern von Tieren. Kate entdeckte Bilder von Ponys und Pferden, Katzen, Katzenbabys, Hunden und Welpen.
    »Sie halten mich sicher für eine verschrobene alte Jungfer«, sagte Miss Arbuthnot und servierte Kate eine Tasse pechschwarzen Kaffee.
    »Aber ganz und gar nicht!«
    »Während meiner aktiven Zeit als Lehrerin habe ich genug Kinder und ihre Eltern gesehen. In meinen vier Wänden bevorzuge ich daher Bilder von den Tieren, die ich gekannt und oft auch geliebt habe.«
    »Das sehe ich.«
    Kate probierte den Kaffee, der sich als extrem stark herausstellte. Falls bei ihrer Ankunft in dieser Wohnung ihr Puls noch nicht gerast hatte, so würde er es vermutlich spätestens dann tun, wenn sie Miss Arbuthnot verließ.
    »Nehmen Sie unser Gespräch auf Band auf, oder machen Sie sich Notizen?«, erkundigte sich Miss Arbuthnot interessiert.
    »Normalerweise mache ich mir Notizen. Allerdings nie viele«, antwortete Kate.
    »Wenn ich mich recht entsinne, hatten Sie nach den beiden Barnes-Kindern gefragt.«
    Miss Arbuthnot schien gern direkt zur Sache zu kommen.
    »Kannten Sie sie?«
    »Aber natürlich! Christopher und Susan. Er war ein düsterer kleiner Kerl, der sich immer alles schwer zu Herzen nahm, und sie ein ziemlich unscheinbares Kind, das ständig vergaß, sein Taschentuch zu benutzen. Er war schwach in Mathematik, aber ein ausgezeichneter Beobachter und recht gut in Englisch. Vielleicht hätte ich etwas Vernünftiges aus ihm machen können, aber leider hatte ich nicht die Chance dazu. Es hätte sicher länger gedauert als die zwei Schuljahre, die er in meiner Klasse verbrachte. Die Gedanken der Kinder schweiften nämlich immer wieder zu den Dingen ab, die in London passierten. Sie hätten sich auf ihren Lernstoff konzentrieren und den anderen Unfug vergessen müssen. Und die kleine Susan hätte mehr Rückgrat gebraucht.«
    Arme Kleine, dachte Kate. Warum ließ man sie nicht einfach so weich und nachgiebig sein, wie der Herrgott sie offensichtlich nun einmal gewollt hatte?
    »Kannten Sie auch Miss Marlyn?«
    »Ihr gehörte High Corner, wo die Kinder untergebracht waren. Aber das wissen Sie längst. Was genau wollen Sie von mir erfahren?«
    »Mich würde eine unvoreingenommene Meinung über sie interessieren. Ich weiß, wie ihre Familie über sie denkt, und ich habe gelesen, was Christopher über sie geschrieben hat.« Naomi King erwähnte sie lieber nicht. Ihre Notizen waren sicher nicht für Leute wie Miss Arbuthnot gedacht gewesen, und das respektierte Kate auch über Naomi Kings Tod hinaus. »Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie weder ein Monster noch eine Heilige war. Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen, nehme ich an.«
    »Nun, in meinen Augen war sie eher ein Monster«, erklärte Miss Arbuthnot ohne Umschweife. »Sie hatte gern alles unter Kontrolle und ließ jedermann ihre Macht spüren. Sie konnte Violet und Arthur Watts Vorschriften machen, weil die beiden für sie arbeiteten und in ihrem schäbigen Gartenhaus wohnen durften. Sie hätte sie sofort an die frische Luft gesetzt, wenn sie nicht pariert hätten. Außerdem glaube ich, dass sie Danny Watts verdorben hat. Der junge Mann taugte nicht viel und wäre wahrscheinlich

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